Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die Moralisten

Titel: Die Moralisten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannter Autor
Vom Netzwerk:
nicht zurück. Wir können niemals mehr Kinder sein.«
    Sie wandte sich von ihm ab, aber seine starken Hände auf ihren Schultern drehten sie herum. »Warum, Marja? Was ist geschehen?« Sie antwortete ihm nicht.
    Seine Blicke bohrten sich in ihr Gesicht. »Soviel bist du mir nach allem, was zwischen uns war, schuldig. Sag es mir!«
    Niemals würde er den Schleier vergessen, der sich in dieser Sekunde über ihre Augen senkte. Plötzlich schienen sie so tief zu sein, daß sich nichts mehr in ihnen spiegelte, nicht einmal der Sonnenschein dieses Vormittags. »Sag es mir, Marja!«
    »Ich habe ein Kind bekommen, Mike. Während ich dort drinnen war, habe ich ein Kind bekommen. Und ich weiß nicht einmal, ob es ein
    Junge oder ein Mädchen ist. Ich habe noch vor der Geburt schriftlich auf dieses Kind verzichtet.« Ihre Stimme war leise und ausdruckslos. »Willst du noch immer wissen, was geschehen ist, Mike?«
    Auf seinem Gesicht lag ein ungläubiger Ausdruck, aber die Hände auf ihren Schultern hatten sich gelockert. »Wessen Kind war es? Ross’?« fragte er rauh.
    Sie schüttelte den Kopf. »Das wäre unmöglich. Er war nicht da. Entsinnst du dich?«
    Seine Hände glitten von ihren Schultern herab, und der Schmerz verzog seinen Mund. »Hat es denn andere gegeben?«
    Sie antwortete ihm nicht.
    Er hatte Tränen in den Augen. »Wie hast du das tun können, Marja? Du hast mich doch geliebt.«
    Ihre Stimme war noch immer kalt, noch immer ruhig. »Es gibt noch anderes, Mike. Dort in der Anstalt war ein Mädchen, das mich gern mochte. Sie hat mich Spiele gelehrt, um uns die Zeit zu vertreiben. Willst du auch von ihnen hören, Mike? Das hat Spaß gemacht.«
    »Ich will nichts mehr hören«, entgegnete er mit bebender Stimme. »Du bestätigst ja nur, was Ross immer gesagt hat. Er hat recht behalten. Er sagte, du seist eine billige .« Er brachte es nicht über sich, das Wort auszusprechen.
    Sie sagte es an seiner Stelle. »Hure.«
    Seine Hände packten fest ihre Schultern, und er starrte ihr ins Gesicht.
    »Warst du es, Marja? Warst du, was er sagte?«
    Sie antwortete nicht.
    »Warum hast du mich belogen, warum?« fragte er verzweifelt. »Alles hätte ich für dich getan. Warum hast du mich belogen?«
    Ihre Augen begegneten, ohne auszuweichen, seinen Blicken. »Jetzt ist alles gleichgültig, Mike«, sagte sie langsam. »Die Wahrheit ist etwas, das man glaubt. Und nicht das, was jemand einem erzählt.« Ein Taxi kam die Straße entlang. Sie machte dem Fahrer ein Zeichen, und er fuhr an den Bürgersteig heran. »Laß mich jetzt los, Mike, das Taxi wartet.«
    Seine Hände glitten von ihren Schultern herab. Schnell stieg sie ins Taxi und schloß die Tür. Als es vom Bürgersteig wegfuhr, blickte sie zum Fenster hinaus. Mike stand da und sah ihr nach. Plötzlich fühlte sie Tränen aufsteigen. Verzweifelt drängte sie sie zurück, bis ihre Augen brannten. Die Freiheit bestand aus so vielem, was sie inzwischen fast vergessen hatte. Sie bestand auch aus Menschen, die man liebte, und aus Menschen, denen man weh tat. »Ich liebe dich, Mike«, flüsterte sie.
    »Wohin, Miß?«
    Die Stimme des Taxifahrers riß sie aus ihren Gedanken.
    »Hotel Astor am Broadway«, sagte sie mit zitternder Stimme. Als sie wieder zum Fenster hinausblickte, war Mike nicht mehr zu sehen. Nun konnte sie die Tränen nicht mehr zurückhalten. Sie konnte ihm niemals gerecht werden. Zuviel war ihr zugestoßen. Sie war mit einer häßlichen Narbe behaftet, die sie ihr ganzes Leben hindurch mit sich herumtragen würde. Er verdiente etwas Besseres. Einen sauberen, unberührten, reinen Menschen. Jemand, der so strahlend war wie er. Nicht jemand wie sie, die ihn um das betrügen würde, was ihm zukam.
    2
    Sie blickte auf den Anmeldeblock, den ihr der Portier hinschob. Einen Augenblick zögerte sie. Dreieinhalb Dollar am Tag waren sogar für ein Luxuszimmer mit eigenem Bad und eigener Dusche sehr viel Geld. Ihre Ersparnisse würden bei diesem Preis nicht lange reichen. Sie besaß nur etwas über hundert Dollar. Aber allzu lange hatte sie auf dieses Ereignis gewartet, um sich nun aufhalten zu lassen. Sie hatte sich diesen Genuß versprochen. So schrieb sie nun rasch das Formular aus:
    Mary Flood ... Yorkville, N.Y ....
    Sie schob dem Portier den Block wieder hin. Er überflog ihn und drückte dann auf eine Klingel an seinem Tisch. Er lächelte sie an. »Gerade aus der Schule heraus, Miß Flood?«
    Sie nickte. Der gute Mann ahnte nicht, wie richtig er geraten hatte. Ein Boy

Weitere Kostenlose Bücher