Die Moralisten
einem harten, weißen Bett ausgestreckt. Die Schwester bereitete sie für die Entbindung vor. Als sie fertig war, deckte sie sie mit einem weißen Laken zu und verließ das Zimmer.
Sie schloß die Augen und atmete schwer. Sie war froh, daß es fast vorbei war. Neben dem Bett hörte sie ein Rascheln und wandte den Kopf.
Die Leiterin der Anstalt stand neben ihr. Sie hielt einen Bogen Papier in der Hand.
»Wie geht es dir, Mary?«
Sie nickte. »Es geht schon, Mrs. Foster.«
»Du hast mir noch immer nichts über das Kind gesagt, Mary.« Sie brachte ein schwaches Lächeln zustande. Da gab es nichts zu sagen. Es dauerte nicht mehr lange, und es würde da sein.
»Der Vater, Mary«, fuhr Mrs. Foster beharrlich fort. »Er sollte für den Unterhalt des Kindes aufkommen.«
Ein Schmerz durchfuhr sie, und sie schloß die Augen. Dann war es vorbei. »Das ist nicht notwendig«, erklärte sie mit zitternder Stimme. Mrs. Foster zuckte die Achseln und sah auf das Schriftstück in ihrer Hand.
»Na gut, Mary. Nach dem, was hier steht, hast du den Wunsch, das Kind adoptieren zu lassen.«
Mary nickte.
»Du weißt auch, was das bedeutet«, fuhr Mrs. Foster fort. Ihre Stimme war kalt. »Du wirst es niemals zu sehen bekommen und niemals erfahren, bei wem es ist. Du gibst alle Rechte an dem Kinde auf. Für dich ist es so, als wäre es nie geboren.«
Das Mädchen schwieg.
»Hast du mich verstanden, Mary?« fragte Mrs. Foster.
Sie nickte.
»Du wirst nichts mehr über dieses Kind erfahren«, sagte die Frau unbarmherzig.
In Marys Stimme schlug der Schmerz in Zorn um. »Ich habe Sie verstanden, Mrs. Foster!« schrie sie. »Ich habe Sie von Anfang an verstanden! Was glauben Sie denn, was ich daran ändern kann? Könnte ich mich etwa hier um das Kind kümmern? Würden Sie es mir denn hier lassen?«
»Wenn wir wüßten, wer der Vater ist«, erwiderte Mrs. Foster ungerührt, »könnten wir uns von ihm einen Unterhaltsbeitrag für das Kind zahlen lassen. Dann könnten wir es für dich in ein Heim geben, bis du in der Lage bist, für es zu sorgen.«
»Und wann wäre das?« fragte Mary mit zitternder Stimme.
»Sobald du bewiesen hast, daß du in moralischer und finanzieller Hinsicht für das Kind sorgen kannst«, antwortete die Frau. »Und wer entscheidet das?«
»Das Gericht.«
»Dann kann ich es also erst bekommen, wenn das Gericht einverstanden ist? Stimmt das?« fragte Mary ruhig.
Mrs. Foster nickte.
»Und sonst wird es adoptiert und kommt sogleich in eine Familie?« Mrs. Fosters Stimme war leise. »Ja.«
Mary atmete tief ein. »So will ich es haben.« Ihr Ton offenbarte ihre endgültige Entschlossenheit.
»Aber ... «Jetzt zitterte Mrs. Fosters Stimme.
Schmerz durchfuhr das Mädchen. Er zwang sie, sich auf dem Bett halb aufzusetzen. »So will ich es!« schrie Mary. »Sehen Sie denn nicht ein, daß das die einzige Chance ist, die ich dem Kind geben kann?«
Die Frau wandte sich um und verließ den Raum. Erst drei Stunden später sah Mary sie wieder. Da war schon alles vorbei. Wieder stand Mrs. Foster neben ihrem Bett und sah sie an.
Marys Gesicht war bleich und eingefallen; kleine Schweißtropfen standen auf ihrer Oberlippe. Ihre Augen waren fest geschlossen. »Mary«, flüsterte Mrs. Foster.
Sie rührte sich nicht.
»Mary«, sagte die Frau nochmals. »Marja.«
Langsam schlug Mary die Augen auf, und die Frau erkannte, daß sie geschlafen hatte.
»Es ist alles vorbei«, flüsterte Mrs. Foster. »Es ist ein gesundes Kind ...«
»Sagen Sie mir nichts!« Die Stimme des Mädchens klang schroff und abweisend. »Ich will nichts wissen!« »Aber .« Die Frau zögerte.
Plötzlich war Marys Stimme von tiefer Erschöpfung erfüllt. Sie drückte ihren Kopf ins Kissen. »Ach, lassen Sie mich . « flüsterte sie. »Es ist so schon schlimm genug.«
Mrs. Foster sagte nichts mehr. Das Gemeinsame ihres Geschlechts führte sie zusammen. Ihre Hand suchte die des Mädchens unter der dünnen Decke.
Mary wandte ihr Gesicht der Frau zu; ihre Augen wirkten unnatürlich groß, sie waren tief und dunkel. Die Frau erschrak - es war ihr, als blickte sie in einen bodenlosen Abgrund. Sie spürte den leichten Druck von Marys Fingern, als sie zu sprechen begann.
»Es hat mir so weh getan«, flüsterte Mary, und der Schmerz klang in ihrer Stimme nach. »Es hat mir so weh getan, als es herauskam.«
»Ich weiß, mein Kind«, sagte die Frau sanft. »Es tut immer weh.« »Wissen Sie es wirklich, Mrs. Foster?« fragte Mary mit verwunderter Stimme. Und
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