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Die Moralisten

Titel: Die Moralisten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannter Autor
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warum hat sie es getan?« Er entdeckte einen winzigen Lichtfleck im Augenwinkel der Ärztin. »Sie wissen vermutlich die Antwort, nicht wahr?« »Ja.«
    »Dann sagen Sie mir, warum sie das getan hat, Frau Dr. Zabiski.«
    »Das kann ich nicht, Mr. Crane.« »Auch nicht, wenn ich Sie darum bitte?« »Auch nicht, wenn Sie Befehle erteilen.«
    »Ärztliche Schweigepflicht, was?« »Ja. Vielen Dank für Ihr Verständnis.« »Ich verstehe es zwar nicht, aber ich muß es wohl hinnehmen.«
    »Ich kann Ihnen nur eins sagen: Es geschah auf ihren eigenen Wunsch. Sie wollte eine der Freiwilligen sein.« Judd holte tief Atem, und ein unsicheres Grinsen spielte um seine Mundwinkel. Aber dann knurrte er doch bloß: »Ach, Scheiße.«
    20
    Das Restaurant lag auf einer großen Hazienda außerhalb von Havanna. Die Küche konnte mit jedem Restaurant in Paris und New York konkurrieren, aber das Lokal war fast der gesamten kubanischen Bevölkerung vollkommen unbekannt. Hier verkehrte nur die Elite von Castros Welt. Zwischen üppigen Blumena rrangements standen altmodische große Eßtische mit weißen Damastdecken, silbernen und goldenen Bestecken feinstem Porzellan und französischen Baccaratglä sern. Die Gäste waren in den weichen Goldglanz der Kerzen getaucht, die auf den Tischen standen. Das Wichtigste aber war die Diskretion. Die Tische standen weit auseinander und konnten auf Wunsch mit schweren, burgunderroten Samt vorhängen vollkommen von der Außenwelt abgeschirmt werden.
    Sofia war die einzige Frau am Tisch. Links und rechts von ihr aßen Nicky und Li Chuan. Neben Nicolai saß Karpov, der KGB-Mann in der sowjetischen Botschaft, und ihr gegenüber der Gastgeber, Santos Gomez, ein schlanker, etwa dreißigjähriger Kubaner, der die beiden Sterne eines Generalmajors auf dem offenen Kragen seiner Feldbluse trug. Der sechste am Tisch - ein zierlicher
    Chinese im grauen Anzug, der auf den Namen Doy Sing hörte - war der inoffizielle Botschafter der Volksrepublik China.
    Das Dinner hatte um Mitternacht begonnen, und erst jetzt, gegen halb zwei, brachten die Kellner den Kaffee, Napoleon Brandy und die allgegenwärtigen schweren Zigarren. Zugleich wurden auch die Vorhänge geschlossen, um der Gruppe die nötige Intimität zu verschaffen. Li Chuan trank nur schwarzen Kaffee.
    Als er sich von seinem Platz erhob, herrschte gespannte Aufmerksamkeit. »Vielleicht werden euch meine Worte schockieren, Genossen«, begann er, »aber wir sind hier zusammengekommen, um über Macht zu reden. Nicht über die Theorie der Macht, sondern über konkrete Macht. Die konkrete Macht liegt schon seit langem nicht mehr im Bereich der Politik. Macht ist identisch mit Geld, und am meisten Geld verdient man derzeit mit Energie. Öl und Gas. Das sind die Quellen der ökonomischen Macht der Araber und der übrigen Staaten der OPEC. Auch die Macht der Vereinigten Staaten beruht auf den Rohstoffvorkommen, die sie kontrollieren; denn sie haben sich die politische und militärische Hegemonie in allen rohstoffproduzierenden Ländern außerhalb des Ostblocks gesichert.
    Das Erstaunliche ist, daß die Macht der Vereinigten Staat auch heute, wo immer mehr Staaten eigene Rohstoffquellen erschließen, immer noch wächst. Ich will euch sagen, warum. Weil die rohstofferzeugenden Länder miteinander konkurrie ren. Sie versuchen sich gegenseitig auszustechen und möglichst intensiv am Welthandel teilzunehmen. Dabei sind sie aber immer die unterlegenen Partner. Der YankeeImperialismus hält alle Trümpfe in der Hand und bestimmt außerdem noch die
    Spielregeln. Aber der Handel mit Rohstoffen und Energie ist nur eines der Schlachtfelder. Es gibt andere Kriegsschauplätze, und dort können wir gewinnen, wenn wir den Mut haben.«
    Sein Blick war eine stumme Herausforderung an seine Zuhö rer, aber niemand reagierte darauf. Mit einem schwachen Lächeln, das sich bald auflöste, setzte Li Chuan seine Ansprache fort: »Ich spreche nicht von einer militärischen Auseinandersetzung, auch nicht vom Guerillakrieg oder Solidaritätskampagnen der Dritten Welt. Solche politischen Schachspiele haben mit den Realitäten von Macht und Geld nichts zu tun.
    Ich beziehe mich vielmehr auf eine Schwäche der westlichen Welt, die gerade auf ihrem Reichtum beruht und die sich wie ein Krebsgeschwür ausbreitet. Ich meine den chronischen Mangel an Bestätigung und Befriedigung, der den westlichen Menschen zur Drogen- und Medikamentensucht treibt. Diese Krankheit der Industrienationen ist in den

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