Die Mordaugen von Brüssel
kümmerte mich um den Mann und stellte ihm die entscheidende Frage: »Bist du Gabaon, der Abt des Klosters?«
»Ja, der bin ich.«
»Du weißt, was mit den anderen geschehen ist?«
Er fing an zu lachen. Nur war es kein richtiges oder echtes Lachen. Mehr ein hohles, fast schon irr klingendes Kichern, das wie eine Botschaft der Decke entgegenschwang. Dann brach das Lachen ab. »Hilf mir, mich aufzurichten.«
Ich stützte ihn ab. Bill und Maurice schauten zu. Sie sahen in das Gesicht eines alten, sich aufrichtenden Mannes, der schon Greisenhaftes an sich hatte. Die Haare waren weniger geworden. Sie flatterten strähnenhaft um seinen mageren Schädel. Über der leicht gekrümmten, scharf wirkenden Nase wuchsen die blassen Augenbrauen zusammen, so daß der Blick etwas Stechendes bekam.
»Sie sind tot, nicht?« fragte er mit seiner krächzenden Stimme, als hätte er Staub in der Kehle.
»Ja.«
»Man kann das Böse nicht stoppen. Wenn die Zeiten reif sind und das letzte Siegel gebrochen wird, dann dringt es in die Welt und übernimmt sie. Ihr könnt nichts tun, gar nichts…«
»Wer ist das Böse?«
Er schaute mich an und lachte wieder schrill. »Kennst du es nicht? Schau dich um, es hat alles zerstört. Es ist in die Mauern der Reinen hineingekommen und hat von uns Besitz ergriffen. Das Böse ist überall, man muß nur genau hinschauen. Wir Katharer kannten zwei Gottheiten, wir vertrauten auf die gute, dies ist uns nicht gelungen, die andere war stärker. Die Hölle…«
»Hat sie deine Brüder getötet?«
»So ist es.«
»Und du hast die Kerzen angezündet.«
»Eine Erinnerung an sie.«
»Es waren neun lote, und neun Höllenringe sowie neun Augen hat es gegeben.«
»Die Apokalypse.«
»Woher weifst du das alles?« fragte ich.
Er winkte mit einer müde wirkenden Bewegung ab. »Früher hat man Menschen wie mich Schriftgelehrte genannt. Heute werde ich von den meisten ausgelacht. Aber ich habe recht behalten. Die Hölle wird hier ein Exempel statuieren. Ich weiß es, und ich wollte meine Botschaft in die Welt hinaustragen, doch wir lebten hier wie in einem Grab. Dann kam er.« Gabaon wies mit dem mageren Zeigefinger auf Maurice. »Ihm vertraute ich mich an. In der Hoffnung, daß er etwas unternehmen würde.«
»Das hat er getan. Er holte uns.«
Mich traf ein prüfender Blick. »Wer bist du?«
Ich überlegte mir die Antwort gut. »Ein Mann, der den Mächten der Finsternis den Kampf angesagt hat.«
Mich traf ein prüfender Blick, der sich in den folgenden Sekunden veränderte. Er wurde mißtrauisch, beinahe feindlich. In den Schächten der Pupille glühte es auf, da war etwas von einem Haß zu spüren, dem Anprall einer stummen, aber sehr starken Feindseligkeit, dem Aufruhr einer Seele, die sich umkehren wollte, und der alte Mönch kam mir vor wie ein Todfeind.
Seine Antwort aber beinhaltete das Gegenteil dessen, was ich an ihm zu erkennen glaubte. »Ja, das ist gut«, sagte er leise und jedes Wort betonend. »So habe ich dich auch eingeschätzt. Als einen Mann, der den Teufel nicht fürchtet.«
»Weißt du mehr über ihn?«
»Den Teufel?« Gabaon lachte. »Ja, der Teufel ist mächtig, er ist überall.«
»Wie in diesem Kloster. Oder wer hat sonst die neun Männer getötet? Das kann nur der Satan gewesen sein.«
»Es gibt viele, die ihm helfen«, flüsterte Gabaon zurück. »Nicht jeder Katharer kann seine seelische Reinheit für immer behalten. Manchmal ist der Druck einfach zu stark.«
»So war es auch hier, nicht?« fragte Bill jetzt.
»Möglich.«
»Und wie sind sie gestorben? Wir haben an ihnen keine Verletzungen feststellen können.«
Der alte Abt schaute uns mit einem stummen Vorwurfin den Augen an, bevor er anfing zu lächeln. »Gibt es nicht unzählige Möglichkeiten, die der Satan hat, um sich der Menschen anzunehmen?«
»Vielleicht«, gab ich zu. »Dennoch hätten wir es gern gewu ßt.«
»Ich weiß es nicht«, flüsterte Gabaon, bewegte seinen Kopf und ließ sich vom Widerschein der Kerzen umschmeicheln. »Ich bin nicht der Teufel…«
Mir kam es so vor, als hätte er ein leider vergessen. Aber ich wollte nicht ungerecht sein. Vielleicht war ich einfach zu voreingenommen. Es wunderte mich auch, daß er überlebt hatte und die anderen Menschen gestorben waren.
Er rutschte von der Altarplatte und schaute gegen das Fenster. Marmorn kam er mir vor, eine nachdenkliche Gestalt, die überlegte und den Blick in weite Fernen geschickt hatte, als gäbe es dort ein Bild, das nur
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