Die Mordaugen von Brüssel
Arm glücklicherweise anwinkeln und ihn als Deckung vor seinen Hals halten können, so daß die Hyäne ihn nicht hatte treffen können und sich ihre Zähne in dem Ärmelstoff verfingen. Ich konnte sie nicht verfehlen.
Meine Kugel zerschmetterte ihren Schädel! Die Hyäne aber blieb auf dem Körper des Belgiers liegen, so daß Reuven sie noch wegstrampeln mußte, um freizukommen.
Ich reichte ihm die Hand. Er umfaßte sie und ließ sich von mir auf die Beine ziehen.
Schwankend ging er aus dem schmalen Raum zwischen den beiden abgestellten Fahrzeugen. Seine Augen waren weit geöffnet, das Gesicht schmerzverzerrt, und ich sah den feuchten dunklen Fleck an seiner rechten Schulter.
Dort hatte ihn die Hyäne erwischt. Im Licht meiner Lampe schaute ich mir die Wunde an, während Bill Conolly uns den Rücken deckte, weil doch noch einige Hyänen übriggeblieben waren.
Wenn ich davon ausging, daß acht dieser Tiere hier irgendwo gelauert hatten, waren noch drei übriggeblieben, die sich allerdings versteckt hielten.
»Können Sie den Arm bewegen?«
»Ich glaube ja.« Reuven versuchte es. »Verdammt, ich hätte nicht gedacht, daß sie es doch noch schaffen.« Ein schmerzlicher Ausdruck zeichnete sein Gesicht, weil er den Arm zu heftig bewegt hatte. »Ich bleibe trotzdem nicht hier«, sagte er keuchend. »Ich will mit, es geht um meine Tochter, begreifen Sie das?«
»Schon. Dennoch würde ich Ihnen abraten.«
Er riß sich los. »Nein, Sinclair, nein. Einmal habe ich mich überraschen lassen, ein zweites Mal nicht mehr. Und wenn ich selbst dabei draufgehe, ich will der Bestie gegenüberstehen, die Ruth unter ihren teuflischen Einfluß gebracht hat.«
Er hatte so überzeugend gesprochen, daß es für mich keinen Sinn ergab, ihn weiterhin vom Gegenteil überzeugen zu wollen. »Dann nehmen Sie wenigstens das«, sagte ich und reichte ihm die Beretta, deren Magazin ich nachgeladen hatte. »Können Sie damit umgehen?«
Die Waffe lag flach auf Reuvens Hand. »Worauf Sie sich verlassen können, Sinclair.«
Ich wünschte mir nur, daß er sich durch seinen Zorn und den Haß nicht zu unüberlegten Handlungen hinreißen ließ. Ich wollte es ihm gerade sagen, als Bill auf den Eingang deutete. »Da sind die letzten drei Hyänen!«
Ich kreiselte herum, weil ich mit einem Angriff rechnete. Das war nicht der Fall.
Die Bestien jagten mit weit gestreckten Sprüngen auf den Eingang des Atomiums zu.
Auf uns wirkte diese wie ein Startsignal zum alles entscheidenden Finale…
***
»Wir sind da«, sagte Adrienne Braun und verließ als erste die Liftkabine. Ihre Freundin ging zögernder und blickte sich scheu um. In der unmittelbaren Nähe stand ein Souvenir-Kiosk. Von der Ansichtskarte über den Bleistift bis hin zum Mini-Atomium war dort alles zu kaufen. Die beiden Frauen waren in die Restaurant-Kugel hochgefahren. Sie wurde am stärksten frequentiert und war auch in mehrere Etagen unterteilt. Essen und Trinken waren darauf abgestellt, möglichst viele Besucher schnell zu bedienen. Die Leute konnten sich ihre Speisen an großen Büffets in der Kugelmitte aussuchen und sie dann zu den Tischen an den Rändern mitnehmen. Die meisten von ihnen standen neben den breiten Fenslern, von wo aus der Besucher einen prächtigen Blick aus luftiger Höhe über die Stadt Brüssel bekam. Es war schon ein kleines Erlebnis, in der obersten Kugel zu sitzen und weit ins Land hineinschauen zu können. Dafür allerdings hatten Adrienne und Ruth keinen Sinn.
Sie dachten an Radek, an ihren Meister, an das Auge. Und sie hielten sich nicht allein in der Kugel auf. Auch andere Mitbrüder und Mitschwestern fuhren ins Restaurant hoch. Sie schritten durch die Kugel, begegneten sich, schauten sich an, spürten jeweils die leer wirkenden Blicke des anderen und wußten Bescheid. Manchmal lächelten sie sich zu, sie waren Verschwörer und hatten eine Botschaft in die Welt zu tragen, das verband eben.
Junge und alte Menschen, Männer und Frauen, sie alle hatten sich zusammengefunden, um das letzte Siegel brechen zu sehen. Sie nahmen den Rundweg durch die Kugel und bewegten sich mit eigentümlich langsamen Schritten. Einem neutralen Beobachter wären sie vielleicht vorgekommen wie geführte Puppen, das waren sie im Endeffekt auch. Nur wenn sie lächelten, bewegten sich ihre Lippen zuckend, auf den Gesichtern lag die gespannte Erwartung, denn bisher hatte sich das Auge noch nicht gezeigt. Dabei glaubten sie fest daran, daß der Meister nichts Falsches versprochen hatte.
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