Die Morgengabe
nicht erst
lernen», antwortete Pilly.
Aber am Nachmittag spielte sich
Verena wieder in den Vordergrund. Quin fuhr jeweils mit einer Ladung Studenten
in die Bucht hinaus, um ihnen zu zeigen, wie man nach Plankton dreggte, und
Verena, die in Indien gesegelt war und bei der Regatta von Cowes der Crew ihres
Vetters angehört hatte, war in ihrem Element. Sie brauchte nur einmal kurz an
der Reißleine des Außenbordmotors zu ziehen, und schon sprang er knatternd an;
sie wußte genau, wie man mit Segeln umging, sie ruderte wie eine Amazone, so
daß es ganz natürlich war, daß sie an der Seite des Professors blieb, um zu
helfen, während die anderen Studenten die Plätze wechselten.
Da sie sich ihrer Position so sicher
war, konnte sie ihren Kommilitonen gegenüber um so großzügiger sein; sie half
ihnen ins Boot und gab ihnen Tips, wie sie sich im Boot zu verhalten hatten, so
daß Quin sich einzig darum zu kümmern brauchte, ihnen den richtigen Umgang mit
den Netzen zu zeigen. Erst als Ruth ins Boot stieg und sich erbot, ein Ruder zu
übernehmen, vergaß Verena ihre Hochherzigkeit.
«Kannst du überhaupt rudern?» fragte
sie hochnäsig. «Ich kann mir nicht vorstellen, daß in Wien viel Wassersport
getrieben wird.»
Ruth verkniff sich jedes Wort,
obwohl Verena ein mörderisches Tempo vorlegte. Sie war ganz beseelt von einem
neuen und noblen Entschluß, den sie noch am selben Abend ihren Freunden mitteilte.
«Ich habe beschlossen», verkündete
sie, «Verena Plackett von jetzt an zu lieben.»
Die Studenten saßen am offenen
Lagerfeuer und brieten Kartoffeln. Die dramatische Kulisse von Meer und
Mondschein entsprach ganz Ruths erhabener Stimmung. Nur Kenneth Easton fehlte.
Er hatte sich zurückgezogen; zu schwer war es ihm geworden, mitansehen zu
müssen, wie Verena zum Abendessen mit dem Professor zum Haus hinaufgegangen
war. Kenneth hatte in dem Spiegelscherben, den die Studenten zum Rasieren
benutzten, eingehend sein Gesicht studiert und dabei festgestellt, wieviel
regelmäßiger seine Gesichtszüge waren als die des Professors, wieviel gerader
seine Nase. Und doch war klar, daß Verena den Professor bevorzugte. Allein
jetzt und voller Melancholie blickte er zu den erleuchteten Fenstern von
Bowmont hinauf und seufzte tief.
«Wirklich», beteuerte Ruth, als ihre
Freunde sie ungläubig anstarrten. «Es ist mir ernst.»
«Du bist ja verrückt», stellte Janet
fest und spießte eine weitere Kartoffel auf. «Total plemplem. Verena ist doch
ein einziger Graus.»
«Ja, das weiß ich», bestätigte Ruth.
«Darum hat es überhaupt keinen Sinn sich zu bemühen, sie zu
mögen. Das hieße, das Unmögliche versuchen. Aber meine Eltern hatten in Wien
einen Freund, einen alten Philosophen, der uns oft besuchte und der immer
sagte: < Was man nicht mögen kann, das muß man lieben. > »
«Das versteh' ich nicht», bekannte
Pilly bekümmert – und ein magerer Junge mit Brille sagte, ihm ginge es genauso.
«Na ja, es heißt, wenn man jemand
nicht mögen kann, dann kann man ihn ganz tief drinnen dennoch lieben», erklärte
Ruth. «Ja, je weniger man jemanden leiden mag, desto wichtiger ist es, daß man
ihn liebt. Man muß ihn lieben, als wäre er der eigene Bruder oder die eigene
Schwester – als Geschöpf dieser Welt eben. Als Mitsünder.» In ihrer Aufregung
ließ Ruth ihre Kartoffel in den Sand fallen.
Sam sagte, obwohl er wußte, daß eine
solche Bemerkung zu einem edlen Ritter nicht paßte, sie quassle Unsinn, und
Janet erklärte, Sünder seien im Vergleich zu Verena die reinsten Kuscheltiere.
«Sünder sind wenigstens menschlich», stellte sie fest.
Nichts jedoch konnte Ruth von ihrem
noblen Entschluß abbringen, und sie zitierte zur Bekräftigung noch einen
weisen Europäer, Dr. Freud nämlich, der gesagt hatte, liebenswert könne eine
Sache erst werden, wenn sie geliebt werde. «Ihr werdet schon sehen», sagte sie.
«Ich fange gleich morgen an, wenn wir nach Howcroft fahren. Den ganzen Tag
werde ich sie lieben.»
«Barker hat ihn also genommen?» fragte Frances Somerville am
nächsten Morgen, als sie der eben aus dem Dorf zurückkehrenden Martha
begegnete. «Er ist einverstanden, ja?»
Das Hündchen war noch vor dem
Frühstück zum Dorfzimmermann gebracht worden. Doch jetzt schüttelte Martha den
Kopf. «Nein, er hat ihn nicht genommen. Er will ihn nicht haben.»
«Wie bitte? Er will ihn nicht
haben?» Frances war fassungslos. «Hast du ihn darauf hingewiesen, daß er mit
seiner Arbeit an den Kirchenstühlen zwei
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