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Die Morgengabe

Die Morgengabe

Titel: Die Morgengabe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Ibbotson
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feiner, schräg fallender Regen, der ihr
Lodencape durchnäßte. Leonie hatte die Kapuze abgenommen, weil sie sie neu
füttern wollte; der Umhang war schäbig, auch ihr Haar war durchnäßt. Aber das
machte gar nichts – vielleicht würde der Regen sie reinwaschen.
    Auf einem Straßenschild auf der
anderen Seite las sie «Cheyne Walk» und sah die in sachtem Bogen angeordneten
RegencyHäuser und die schönen alten Bäume in den Gärten.
    «Heinrich VIII. hatte dort einen
Palast», hatte Quin ihr in Wien erzählt, als er über sein Londoner Zuhause gesprochen
hatte. «Von meinem Fenster aus kann man einen Maulbeerbaum sehen, der angeblich
von Elisabeth I. gepflanzt wurde. Wahrscheinlich stimmt das nicht, aber die
Vorstellung ist hübsch.»
    Alle Bäume in den Gärten der großen
Häuser sahen aus, als seien sie von einer Königin gepflanzt worden. Im
Westen leuchtete der Himmel noch von der untergehenden Sonne, und als sie den
Kopf drehte, konnte sie die Kette der Lichter auf der Albert-Brücke sehen. Es
war eine wunderschöne kleine Straße. Aber natürlich, Quin war ja reich, er
konnte wohnen, wo es ihm gefiel, während sie und Heini mit Janets Wohnung
hatten vorliebnehmen müssen. Vielleicht war das der Grund, weshalb alles so
schiefgegangen war.
    Aber es hatte keinen Sinn, irgend
jemand die Schuld zu geben. Die Schuld lag bei ihr. Wenn auch vielleicht nicht
ganz allein. Wenn nur Quin tun würde, warum sie ihn bitten wollte, dann würde
vielleicht doch noch alles gut werden.
    Sie ging jetzt an den
schmiedeeisernen Toren der Häuser vorüber; an eleganten Laternen und fächerförmigen
Lünetten, die lichtene Halbkreise auf die Treppen warfen. Sie brauchte nicht
nach den Hausnummern zu sehen. Sie hatte den Crossley, der vor der Tür stand, sofort entdeckt.
Entschlossen eilte sie zur Haustür und läutete. Je schneller sie es hinter sich
brachte, desto besser.
    Quin legte stirnrunzelnd seinen
Füller aus der Hand. Er hatte vor dem Abendessen noch zwei Stunden in Ruhe
arbeiten wollen. Lockwood hatte das Wochenende frei; er hatte das Telefon ausgehängt,
um den Artikel für das Museumsblatt, an dem er gerade arbeitete, ungestört
fertigmachen zu können.
    «Du meine Güte, Ruth!» Und als er
ihr Gesicht sah: «Was ist los? Sind Sie in Schwierigkeiten?»
    Sie schüttelte ihr Haar aus wie ein
Hund und folgte ihm nach oben. «Ja. Ich bin in ganz schrecklichen
Schwierigkeiten.» Sie sprach Deutsch, und ihre Worte gewannen dadurch
zusätzlich an Gewicht.
    «Kommen Sie erst einmal herein und
wärmen Sie sich auf.»
    Er nahm ihr das durchnäßte Cape ab
und führte sie ins Wohnzimmer. Obwohl die Vorhänge offen waren, ging sie nicht
zum Fenster; und sie ging auch nicht zum offenen Kamin, in dem ein Feuer
brannte. Sie blieb mitten im Zimmer stehen und streckte ihm in flehentlicher
Geste die offenen Hände entgegen.
    «Ich kann nicht bleiben. Ich möchte
Sie nur bitten, etwas für mich zu tun. Es ist unheimlich wichtig.»
    «Was ist es denn, Ruth? Sagen Sie es
mir nur.»
    Sie hob den Kopf. «Sie müssen sich
von mir trennen. Gänzlich und unwiderruflich. Jetzt gleich. Auf der Stelle.»
    Einen Moment blieb es still. Dann sagte
Quin mit einem Gesicht, in dem nichts zu lesen war: «Ich will natürlich gern
alles tun, um Ihnen zu helfen. Aber ich weiß nicht recht, wie ich mich jetzt,
auf der Stelle, von Ihnen trennen kann. Dick Proudfoot tut sein Bestes ...»
    «Nein!» unterbrach sie ihn. «Das hat
mit Mr. Proudfoot und allen möglichen amtlichen Dokumenten nichts zu tun. Es
ist etwas viel Fundamentaleres. Es geht darum, einen Fluch aufzuheben.»
    «Wie bitte?»
    «Entschuldigen Sie. Ich wollte damit
nicht sagen, daß unsere Heirat ein Fluch war. Aber ich wußte schon damals, als
wir uns vor Zeugen dieses Versprechen gaben ... ich meine, solche Gelübde
zählen. Man muß sie ernst nehmen. Und deshalb müssen Sie mich von meinem
Gelübde befreien, und ich weiß auch, wie Sie es tun können, ich habe nämlich
extra Mrs. Weiss gefragt. Mit dem Channukka-Fest hat sie sich ja nicht
besonders gut ausgekannt, aber über Scheidung wußte sie Bescheid, und Paul
Ziller auch, aber ich wußte es auch vorher schon. Sie brauchen nur dreimal zu
sagen: < Ich trenne mich von dir, ich trenne mich von dir, ich trenne mich
von dir. > Und dabei müssen Sie mir, glaube ich, die Hand auf die Schulter
legen, aber da bin ich nicht so sicher. Es ist auf jeden Fall ein uraltes
jüdisches Gesetz, und durch diese Worte wird eine Ehe auf der Stelle

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