Die Morgengabe
aufgelöst.
Eigentlich sollte man sie vor einem Rabbiner sagen, aber es reicht auch, wenn
man sie einfach so sagt; die Hauptsache ist, man meint es ernst. Daß man den
anderen verstößt und frei sein will. Aber sagen müssen Sie es – der Mann
–, weil das bei den alten Juden so war; da zählten nur die Männer. Und ich weiß
genau, wenn Sie es tun, wird alles gleich besser werden. Vielleicht wird sogar
alles wieder gut.»
Außer Atem hielt sie inne, und als
Quin nichts sagte, fragte sie ängstlich: «Sie werden es doch tun, nicht wahr?
Vielleicht wäre es besser, wenn Sie sagen würden: < Weib, ich trenne mich von
dir. > Das klänge biblischer.» Als Quin noch immer nichts sagte, sondern zur
Tür ging, rief sie erschrocken: «Wohin gehen Sie?»
Quin antwortete nicht. Sie hörte ihn
durch den Flur gehen; gleich darauf kam er mit einem großen weißen Frottiertuch
zurück.
«Kommen Sie erst mal her», befahl er
ihr. «Setzen Sie sich aufs Sofa. Neben das Feuer.»
Sie kam, verwundert, aber gehorsam
und setzte sich.
«Was wollen Sie tun?»
«Senken Sie den Kopf.»
«Aber ...»
«Sie sind zu Ihrer Hochzeit mit
nassem Haar gekommen. Dann können Sie wenigstens zu Ihrer Scheidung mit
trockenem Haar kommen.»
Während er sprach, begann er ihr
Haar zu trocknen – aber das war nicht das, was sie wollte. Das war nicht recht
so. Im Alten Testament stand nichts davon, daß einem der Ehemann, der die Absicht hatte, einen zu verstoßen,
vorher das Haar trocknete, und sie wollte sich ihm entziehen, aber es war so
friedlich, hier zu sitzen, seine Hände taten ihr so wohl ...
Doch als er von ihrem Kopf zum lose
herabhängenden Haar auf ihren Schultern hinunterwanderte, wurde sie zornig.
Denn jetzt konnte sie seine Hände sehen, und seine Hände hatten sie von
Anfang an beunruhigt. Schön wie die Hände Johannes des Täufers von Donatello.
Während Quin jetzt ihr Haar frottierte, ging es ihr wieder so wie in Wien im
Museum, als er ihr geholfen hatte, das Skelett des Höhlenbären zu ordnen; wie
im Orientexpreß, als er ihr eine Nuß geknackt und auf den Teller gelegt hatte
... wie immer, wenn sie ihn mit seiner Pfeife hantieren sah, die er fast
niemals anzündete.
«Nein, bitte, hören Sie jetzt auf!»
Sie hob einen Arm, um ihn am Handgelenk festzuhalten, aber das war ein ganz
großer Fehler. Quin faltete das Handtuch, trug es aus dem Zimmer und kehrte mit
einem kleinen Glas zurück, das eine bernsteinfarbene Flüssigkeit enthielt.
«Hier», sagte er. «Trinken Sie das.
Das macht Ihnen warm. Und dann erzählen Sie mir in aller Ruhe, worum es
eigentlich geht.»
Ruth nahm das Glas, schnupperte
einmal daran und trank den Grand Armagnac bis auf den letzten Tropfen.
Ein leises «Oh!» der Anerkennung entfuhr ihr. Sie schluckte es hinunter. «Ich
kann Ihnen sagen, worum es geht», erklärte sie entschlossen und hob beinahe
trotzig den Kopf. «Es geht um – Frigidität.»
Quins Gesicht veränderte sich nicht.
Er zog nur die Brauen ein klein wenig in die Höhe, während er wartete.
«Um Frigidität im richtigen,
medizinischen Sinn, wie sie im Buch steht. Zum Beispiel in den Büchern von
Havelock Ellis und Krafft-Ebing und Eugene Feuermann, die ich am Grundlsee gelesen
hab. Ich muß eine Vorahnung gehabt haben, weshalb sonst hätte ich ausgerechnet
darüber gelesen, wo ich doch ebensogut Heidi oder Andersens Märchen hätte
lesen können?»
«Ja, das fragt man sich», murmelte
Quin.
«Ich glaube, das habe ich immer am
allermeisten gefürchtet. Kalt zu sein. Empfindungslos. Dazuliegen wie ein
Holzklotz.»
«War es denn so?»
Jetzt hatte sich sein
Gesichtsausdruck doch verändert; aber Ruth, die zu Boden blickte, sah es nicht.
«Nein, nicht direkt, weil ich gar
nicht gelegen habe. Aber im Endeffekt war es das gleiche.»
«Es handelt sich um Heini, nehme ich
an? Wir sprechen von Ihrer Beziehung zu Heini, nicht wahr?»
Ruth nickte. «Ich sagte Ihnen ja, daß
Heini sich das mit Chopin und seinen Etüden doch anders überlegt hatte. Jetzt
bereitet er sich gerade auf einen unheimlich wichtigen Wettbewerb vor, und er
will Liszts Dante-Sonate vorspielen, in der es vor allen Dingen um das
Ewigweibliche geht, und er wollte – nun ja, er wollte endlich die Liebe
erfahren. Er sagte es mir am Heiligen Abend, und es war sehr ergreifend. Als
ich dann die Papiere für die Nichtigkeitserklärung im Bus liegengelassen hatte,
fand ich, es wäre eine Zumutung für ihn, warten zu müssen, bis wir heiraten
können, deshalb habe ich alles
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