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Die Morgengabe

Die Morgengabe

Titel: Die Morgengabe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Ibbotson
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des Seminars bei Ihnen im Haus wohnen kann? Soviel ich
weiß, hat Ihr Neffe seine eigenen Räume und überläßt die Führung des Hauses
ganz Ihnen; er brauchte sich also um Verena nicht zu kümmern, es sei denn, er
wünschte es. Ich werde selbst um diese Zeit nach Nordengland reisen, und da
Verenas vierundzwanzigster Geburtstag auf den letzten Freitag des Seminars
fällt, darf ich mich vielleicht für diesen Tag einladen, ehe ich weiterreise,
um Lord Hartinton und die vielen anderen Freunde meiner Familie zu besuchen,
die ich so lange nicht gesehen habe. Verzeihen Sie mir meine Unverblümtheit,
aber Verenas Wohl ist mir, wie Sie sicher verstehen werden, sehr wichtig. Und
was könnte es für mich Schöneres geben, als die Freundin und Beschützerin
meiner Kindertage wiederzusehen?
    Mit allen guten Wünschen,
    Ihre Daphne Plackett.»
    Frances las den Brief zweimal durch und
blieb eine Weile nachdenklich in ihrem Sessel sitzen. Dann läutete sie Turton.
    «Sagen Sie Harris, ich brauche den Wagen»,
befahl sie. «Ich fahre nach Rothley hinüber.»
    Gerade wollte sie in den alten Buick
einsteigen, den Quin auf ihr strenges Geheiß nicht durch ein neueres Modell
ersetzen durfte, da veranlaßte schrilles Gekläff sie, sich umzudrehen, und im
selben Moment sauste ein Hündchen, kaum
größer als ihr Schuh, auf ihre Beine los, setzte zum Sprung auf das Trittbrett
des Wagens an, verfehlte sein Ziel und fiel auf den Rücken – während die ganze
Zeit sein dünnes Rattenschwänzchen wie wild kreiselte und seine ungleichen
Augen vor Lebensfreude blitzten.
    «Bringen Sie ihn weg!» befahl
Frances grimmig. «Und sagen Sie denen, die ihn rausgelassen haben, daß ich,
wenn sie in Zukunft nicht die Tür schließen, ihn ertränken lasse.»
    Der Chauffeur unterdrückte ein
Grinsen. Die leidenschaftliche Anhänglichkeit des kleinen Mischlings an die
Herrin von Bowmont wurde von der ganzen Dienerschaft gutmütig belacht, doch
Frances, die steif und aufrecht im Fond des Wagens saß, konnte nichts
Erheiterndes an dem finden, was ihrer mit vielerlei Preisen ausgezeichneten
Labrador-Hündin widerfahren war. Kaum waren alle Welpen aus Comelys letztem
Wurf – lauter Hunde edelster Rasse – verkauft worden, da war die Hündin, früher
als erwartet, erneut läufig geworden und für eine ganze Nacht verschwunden. Das
Resultat dieses Ausflugs war ein Wurf, wie Frances Somerville ihn sich in ihren
schlimmsten Träumen nicht vorgestellt hätte. Unter Zuhilfenahme verbaler Gewalt
gegen diverse Gutsangestellte war es ihr gelungen, Abnehmer für die Welpen zu
finden – aber um jemand dazu zu bringen, den Zwerg des Wurfs zu nehmen, hätte
Frances die Dörfler schon aufs Rad spannen müssen. Irgendwie schien ihr dieses
Desaster von einem Hund zu all den anderen Unbilden zu passen, die ihre
geordnete Welt bedrohten: Stallburschen, die Opernarien sangen, und Fremde,
die mit Notizbüchern in der Hand über das Land von Bowmont trampelten.
    Die Straße nach Rothley führte an
der Festung Bamburgh vorbei, einstmals Bowmonts Rivalin im Norden, und weiter
am Deich entlang bis Holy Island, ehe sie landeinwärts schwenkte, nach Rothley
Hall – einem langen roten Sandsteinbau, der nur vom buschigen Gestrüpp
immergrünen Efeus zusammengehalten schien. Das Gebell eines halben Dutzends
Jack-Russell-Terrier empfing sie, und wenig später saß sie in Lady Rothleys
kleinem Salon, während die Freundin den Brief durchlas.
    «Nun, der Ton kann einem eigentlich
nicht gefallen», sagte sie, als sie die Lektüre beendet hatte,
«aber einmal ganz ehrlich, Frances, ich wüßte nicht, was du zu verlieren hast.
Im schlimmsten Fall ist diese Verena ein lästiges Ding, mit dem du vierzehn
Tage lang zurechtkommen mußt, und im besten ...»
    «Ja, so sehe ich es auch. Und sie
scheint ja wirklich intelligent zu sein. Vielleicht gelingt es ihr, sein
Interesse zu fesseln.»
    «Eines kann ich dir jedenfalls
sagen», erklärte Lady Rothley. «Wenn sie wirklich Croft-Ellis-Blut in den Adern
hat, wird sie diese Schnapsidee Quins, Bowmont dem National Trust zu vermachen,
sofort abwürgen. Sollte Quin diese Verena Plackett heiraten, wird der Trust
nicht einen Quadratzentimeter Boden bekommen. Nicht umsonst lautet ihr Motto: < Keiner soll begehren, was mein ist. > Wenn es in England eine Sippe gibt,
die habgieriger ist, habe ich noch nicht von ihr gehört.» Als sie das Gesicht
ihrer Freundin sah, fügte sie beschwichtigend hinzu: «Nein, nein, so schlimm
ist es auch wieder nicht. Ich

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