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Die Morgengabe

Die Morgengabe

Titel: Die Morgengabe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Ibbotson
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der Ofen in dem kleinen Aufenthaltsraum brannte, die Bunsenbrenner an
die Gasleitung angeschlossen, die Schlafräume über dem Labor gelüftet und die
Decken frisch und sauber waren. Er fand alles in Ordnung, und dennoch war er
innerlich rastlos, und beinahe ohne recht wahrzunehmen, was er tat, griff er zu
der Gitarre in der Ecke des Zimmers und begann sie zu stimmen.
    Quins Gitarrestudien waren nie sehr
weit gediehen, und seine Freunde in Cambridge hatten immer wenig schmeichelhaft
reagiert, wenn er gespielt hatte; entweder hatten sie sich die Ohren
zugehalten, oder sie waren aus dem Zimmer geflohen. Obwohl er nur wenige Stücke
spielen konnte, hatte er doch für jede Gefühlslage das Richtige parat: Tiptoe
Through the Tulips war heiter; die Evening Elegy war, wie der Titel sagte, elegisch;
und Mississippi Moan war – nun, eine Klage eben.
    Gerade bei diesem letzten Stück
hatte sich, wenn er es im College spielte, das Zimmer stets besonders schnell
geleert, aber Quin liebte es nun einmal. Als jetzt die Töne des schwermütigen
Lieds aus dem amerikanischen Süden durch den Raum klangen, wurde er sich
bewußt, daß er das Stück nicht ganz zufällig gewählt hatte. Er fühlte sich
tatsächlich innerlich unruhig – bedrückt – und einige Akkorde später wurde ihm
auch klar, warum.
    Es war nicht zu leugnen, daß er sich
Felton gegenüber, der so sehr bemüht gewesen war, Ruth die Exkursion nach
Bowmont zu ermöglichen, nicht anständig benommen hatte. Roger arbeitete
unermüdlich für die Studenten und sprang jederzeit bereitwillig für ihn ein,
ertrug geduldig die endlose Langeweile der Ausschußsitzungen. Wenn er nun sein
Herz daran gehängt hatte, Ruth den Aufenthalt in Northumberland zu ermöglichen,
so hätte er – Quin – ihm bei seinen Bemühungen helfen sollen. Es wäre ein
leichtes gewesen, eine Möglichkeit zu finden, und die Mißbilligung der
Placketts hatte ihn ja nie im geringsten gekümmert. Tatsache war, daß er sich
äußerst selbstsüchtig verhalten hatte, weil er die Emotionalität dieses
Mädchens scheute.
    Nun, jetzt war daran nichts mehr zu
ändern, und der Mississippi Moan hatte, wie so oft, die Atmosphäre
gereinigt. Alles Bedauern hinter sich lassend, ging Quin zu seinem Schreibtisch
und nahm sich Hackenstreichers letzten Brief an die Zeitschrift Nature vor.
Zeit, diesem Idioten ein für allemal den Marsch zu blasen. Er zog die
Schreibmaschine zu sich heran und spannte ein leeres Blatt ein.
    «Sehr geehrte Herren», schrieb er,
«im Zusammenhang mit Professor Hackenstreichers Beitrag (Nature vom 6. August
1938) darf vielleicht darauf hingewiesen werden, daß seine Untersuchung eines
einzigen Schädelabgusses des Styracosaurus Coratopsius doch wohl kaum eine
Ablehnung von Brooms Rekonstruktion der Evolution aus einem gemeinsamen Stamm
rechtfertigt. Nicht nur war der Abguß unvollständig, auch seine Herkunft ist in
Zweifel zu ziehen, da ...»
    Er saß noch immer an der Maschine, als der Bus das
Tor hinter dem Haus passierte und schwankend zum Strand hinunterzuckelte.
    Ruth erwachte früh. Alle anderen im
Schlafsaal über dem Bootshaus schliefen noch. Pilly, die neben ihr lag, war so
fest zusammengerollt, als wollte sie sich gegen die Katastrophen des kommenden
Tages schützen; nur ein paar Haarbüschel lugten über den Rand der grauen Decke.
    Vom vorhergehenden Abend hatte Ruth
nur noch den peitschenden Regen in Erinnerung, die plötzliche Kälte, als sie
aus dem stickigen Bus gestiegen und ins Haus gelaufen waren – und das monotone
Klatschen der Wellen an den Strand. Doch jetzt hatte sich etwas verändert, und
auf den ersten Blick schien ihr, daß diese Veränderung einfach durch die
Beleuchtung hervorgerufen worden war.
    Sie kleidete sich eilig an, huschte
an ihren schlafenden Freundinnen und an Dr. Sonderstrom vorbei, kletterte die
Leiter hinunter und öffnete die Tür.
    «Oh!» sagte sie und trat hinaus –
ungläubig, verwirrt, geblendet. Wie hatte dies über Nacht geschehen können, dieses
Wunder? Woher kam plötzlich dieses viele Licht? Woher diese unendliche
Bewegung?
    Die Sonne erhob sich aus einem
silbern glänzenden Meer, dessen flirrendes Wasser seine Farben beinahe von
Augenblick zu Augenblick veränderte. Und auch der Himmel wechselte die Farben,
während sie zu ihm hinaufsah; zuerst war er rosig und amethystfarben, dann
türkis ... und schon wartete ungeduldig eine Handvoll frischer Schäfchenwolken
...
    Auch die Luft bewegte sich. Man
brauchte sie nicht zu atmen, sie

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