Die Mütter-Mafia
hatte er sie in der Zwischenzeit auch ganz sicher wieder gekündigt. Dieser Mann zahlte doch keinen Cent mehr für mich. Und ich hatte keinen Cent für einen Kratzer im Lack anderer Leute übrig. Nicht mal, wenn es ein Panda gewesen wäre.
Der Jaguarmann sah mich immer noch aufmerksam an. Mir war klar, dass er auf eine Antwort wartete.
Ich versuchte es mit einem unbedarften Lächeln. »Welches Fahrrad?«, fragte ich.
»Das, das meinen Lack zerkratzt hat«, sagte der Mann.
»Nein«, sagte ich erleichtert, wenn auch immer noch schamrot im Gesicht. »Das ist nicht meins.« Es war ja wirklich nicht meins. Meins war das, das die Kettenreaktion ausgelöst hatte. Aber das konnte und wollte ich dem Jaguarmann nicht sagen. Ich war pleite, und der drohende Ausspruch: »Mein Mann ist Staatsanwalt« entsprach ja nun auch nicht mehr der Wahrheit. So Leid mir das mit der Beule tat - bezahlen wollte ich sie auf keinen Fall.
Der Mann versuchte, den Fahrradsalat beiseite zu schieben, und Julius und ich halfen ihm dabei, alle Fahrräder wieder ordentlich aufzustellen. Dann wollte ich mich aus dem Staub machen.
»Vielen Dank«, sagte der Mann und lächelte. »Tut mir Leid wegen vorhin: Sie sehen ja nun wirklich nicht aus wie jemand, der mit dem Fahrrad gekommen ist.«
»Ja, stimmt ja«, sagte ich entzückt. Ich hatte mich für Julius' ersten Kindergartentag nämlich schwer in Schale geschmissen. Seine Mutter sollte um keinen Preis pleite, allein erziehend undarbeitslos aussehen, das machte einen schlechten Eindruck. Also trug ich meinen schwarz-rot karierten Minirock zu schwarzen Strumpfhosen und schwarzem Rollkragenpullover, einen Kettengürtel von »Moschino«, darüber einen dünnen Wollmantel, dem man auch ohne ins Etikett zu schauen den hohen Kaschmiranteil durchaus ansah. Dazu trug ich rote Stiefel mit irrsinnig hohen Absätzen. Es war ein kalter Morgen, und schon auf der Fahrt hierhin hatte ich gefroren wie ein Schneider, aber jetzt stellte sich heraus, dass die Quälerei durchaus für etwas gut gewesen war. Der Mann hatte Recht: Ich sah definitiv nicht aus wie jemand, der mit dem Fahrrad hergekommen war. Halleluja!
»Haben Sie denn gesehen, wie das passiert ist?«, fragte der Jaguarmann und fuhr mit der Hand über die Schramme im Kotflügel.
»Nein, äh ja«, stotterte ich. Mit Julius an der Hand hatte ich bereits ein paar Schritte rückwärts in Richtung Eingang gemacht. »Einfach umgekippt, ohne Grund, die Dinger. Wahrscheinlich war es der Wind.«
Die Situation war ein bisschen verfahren. Der Mann streichelte seinen Jaguar, und ich entfernte mich schrittchenweise und rückwärts aus seiner Nähe, anstatt mich souverän zu geben und wie ein normaler, unschuldiger Mensch davonzueilen.
Meine halbherzige Flucht wurde zusätzlich durch einen Gullideckel vereitelt.
»Verdammt!«, entfuhr es mir. Der Absatz meiner Stiefel hatte sich zwischen zwei Eisenstangen verkeilt. Bei dem Versuch, mich mit einem kräftigen Ruck zu befreien, brach der Absatz ab.
»Das kostet mindestens zweitausend Euro«, sagte der Mann.
»Ach, was«, sagte ich. »Beim Schuster kostet das höchstens zwanzig Euro.«
»Ich meinte die Reparatur des Autos«, sagte er.
»Ach so.« Ich spürte selbst, dass mein Lächeln irgendwie schief ausfiel. Egal. Meine Kinder sollten auf keinen Fall wegen dieses Kratzers Hunger leiden müssen. Wenn sich jemand einen Jaguar leisten konnte, dann konnte er sich auch einen Kratzerdarauf leisten, sagte ich mir. »Na, dann hoffe ich, dass sich derjenige meldet, dem das Fahrrad gehört.«
»Ja, das hoffe ich auch«, sagte der Mann und lächelte zurück. »Vielen Dank für Ihre moralische Unterstützung.«
»Gern geschehen«, sagte ich mit letzter Kraft. Ich hoffte nur, dass ich diesem Menschen niemals mehr gegenüberstehen musste.
*
Als wir die »Villa Kunterbunt« betraten, war mir, wie üblich, mulmiger zu Mute als Julius. In allen Spiel- und Krabbelgruppen und seinem letzten Kindergarten war es mir ähnlich ergangen. Julius war kein besonders draufgängerisches Kind, und seine eher schweigsame, beobachtende Art, wenn er irgendwo fremd war, konnte man leicht fehlinterpretieren. Ich war selbstverständlich von meinem Kind begeistert, kannte seine (wenigen) Schwächen und seine (immensen) Stärken und wusste, was für ein friedfertiger, fantasievoller und witziger kleiner Kerl er war, aber ich war seine Mutter, und die bange Frage, die ich mir in solchen Situationen immer stellte, war: Sehen die anderen,
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