Die Mütter-Mafia
zusammen. »Ah, darum geht es also. Diese ungerechte Wut auf die besitzende Klasse ist mir durchaus bekannt. Dieser Mercedes und alles andere, auf das Sie und Ihre Sozialhilfe kassierenden Standesgenossen neidisch sind, sind uns nicht in den Schoß gefallen. Wir mussten hart für unseren Lebensstandard arbeiten. Und wir haben es dabei niemals versäumt, uns charitätisch zu betätigen. Aber Arbeit und Wohltätigkeit sind für Leute Ihres Schlages doch Fremdwörter.«
»Wie bitte?« Natürlich stotterte ich wieder mal, wie immer, wenn ich nicht weiterwusste. »G-G-G-Glauben Sie allen Ernstes, wenn Sie mir die Vorfahrt mit einem rostigen Fiat Panda genommen hätten, wäre ich jetzt weniger wütend? Und woraus schließen Sie bitte, dass ich Sozialhilfe bekomme? Sie kennen mich doch gar nicht.«
»Gott sei Dank kenne ich Sie nicht«, sagte die Frau. »Und dabei möchte ich es auch belassen.«
Sprachlos schaute ich ihr hinterher. So viel Arroganz gepaart mit Dreistigkeit war mir noch nie untergekommen! Ich stellte mein Fahrrad ab und folgte meiner Beinahe-Mörderin in den Kindergarten. Das konnte ich mir einfach nicht gefallen lassen!
Aber als ich die Frau im Garderobenraum der »Herr-Nilsson-Gruppe« wiedersah, half sie gerade einem niedlichen Mädchen in die »Oilily«-Jacke. Ich war für einen Moment aus dem Konzept gebracht. Das kleine Mädchen war ganz offensichtlich asiatischer Herkunft und schien so überhaupt nicht zu der blonden Ziege zu passen. Aber dann hatte ich sofort eine mögliche Erklärung parat: Wahrscheinlich hatte Frau Perlenohrring-Wohltätigkeit in den Siebzigern vor lauter Wohltätigkeit ein vietnamesisches Flüchtlingskind adoptiert, das ihr nun wiederum ein Enkelkind geschenkt hatte. Das passte doch: So ein ausländisches Adoptivkind machte natürlich mehr her als eine beschei dene rote Schleife am Revers oder ein Aufkleber am Auto. Ich bremse auch für Taube(n). Ich halte Diät aus Solidarität mit den hungernden Kindern in Bangladesch. Mein Mann spendet mehr Geld für » Unicef« als für den Golfclub. Mein Herz blutet sogar für die herrenlosen Hunde auf den Kanaren.
Julius war zufrieden mit seinem ersten Kindergartentag. Während ich ihm die Schuhe zuband, kraulte er meinen Kopf »Ich habe einen neuen Freund, Mami, der heißt Japser, und der isst immer im Kindergarten zu Mittag, weil seine Mama Kochen doof findet und nie Zeit hat! Und im Stuhlkreis musste ich sagen, wie ich heiße und wie alt ich bin, und ich habe alles richtig gewusst.«
»Wirklich? Das klingt, als hättest du einen schönen Vormittag gehabt.«
»Ja«, sagte Julius und bohrte seinen Kopf in meinen Bauch. »Aber ich freue mich, dass du wieder da bist.«
»Da kannst du aber auch froh sein«, sagte ich laut und warf einen viel sagenden Blick hinüber zu der Mercedesschrulle. »Denn eben hätte mich beinahe eine alte Frau mit dem Auto überfahren.«
Vermutlich war es das Attribut »alt«, das meine Kontrahentin aus ihrer vornehmen Reserviertheit lockte. Ich hätte wahrscheinlich alles sagen dürfen, nur nicht das. Als sie ihre Enkelin zur Tür zog, sagte sie im Vorbeigehen zu dem Kind: »Dieser Kindergarten ist auch nicht mehr, was er einmal war. Offensichtlich nimmt Frau Siebeck jetzt auch die Kinder der ungebildeten Unterschicht.«
So, jetzt reichte es aber!
»Ungebildet ist für mich jemand, der nicht mal Fremdworte richtig gebrauchen kann«, sagte ich laut. »Das Wort charitätisch gibt es nämlich gar nicht, karitativ wäre richtig gewesen. Vielleicht schlagen Sie das zu Hause mal nach, ebenso wie die Rechts-vor-links-Regel!«
Zwar ließ sich die Frau davon nicht beirren und ging einfachweiter, aber falls man ihre Ohren bei dem Lifting nicht komplett zugenäht hatte, hatte sie mich sehr gut verstanden.
Es war noch eine andere Mutter im Garderobenraum, und die sah mich mit großen Augen an. Aber das war mir in diesem Augenblick egal. Ich betete nur, dass das Wort »charitätisch« tatsächlich in keinem Duden zu finden war.
*
Mimi empfing uns an der Haustür.
»Ich habe eine gute und eine schlechte Nachricht«, sagte sie.
»Wohnst du jetzt auch hier?«, fragte Julius.
»Nein, Süßer«, beruhigte ihn Mimi. »Zum Schlafen gehe ich zu mir nach Hause. Also, was zuerst? Die gute oder die schlechte Nachricht?«
»Zuerst die schlechte, bitte.«
»Hinter der Schrankwand ist alles voller Schimmel. Aber die gute Nachricht ist, dass Ronnie gleich mit einem Kollegen vorbeikommt, um den Plunder in die Garage
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