Die Mütter-Mafia
Leben etwas Besonderes gewesen zu sein, man wird kaum jemand treffen, der zugibt, eine zahnlose Küchenmagd gewesen zu sein oder ein Schuhverkäufer. Womöglich ist das auch der Grund dafür, warum sich die meisten nicht an ihr früheres Leben erinnern. Trudi sagte ja gern, dass sie mich schon immer gekannt habe, und auch in der Antike sei ich schon mit dabei gewesen, aber wenn sie davon anfing, stellte ich meine Ohren gewöhnlich auf Durchzug. Mir reichte dieses eine Leben hier völlig.
Nelly war schon mit dem Geschichtskurs in »Troja« gewesen und hatte gesagt, dass Brad Pitts Hintern das einzig Gute an diesem Film gewesen sei. Die Hälfte der Zeit habe sie nur die Augen zusammengekniffen, weil ständig irgendwer von Speeren, Schwertern und Pfeilen durchbohrt worden sei und sowieso alle sterben würden, und das müsse sie nun wirklich nicht nochmal haben. Ich würde also warten müssen, bis Brad Pitts nackter Hintern im Fernsehen gezeigt wurde.
Das Gute an »Findet Nemo« war, dass Julius mitkommen konnte, für das blutige Troja hätte er so lange bei Anne und Jasper bleiben müssen. Ich kaufte eine extra große Portion Popcorn und fiel fast in Ohnmacht, als mir die Verkäuferin einen riesigen Eimer über die Theke reichte. Wenn er leer war, konnten wir ihn zu Hause als Wäschekorb benutzen, aber ich zweifelte daran, dass wir ihn jemals leer essen konnten. Nelly wollte außerdem Cola und Julius Limonade, und beide wollten Eiskonfekt und Chips, und weil heute Nellys Geburtstag war, durften sie ausnahmsweise alles haben. Nur der Transport war etwas schwierig, weil sich die Kinder bereits in den Kinosaal verdrückt hatten und mir nicht beim Tragen helfen konnten.
»Ach du lieber Gott«, sagte die Frau hinter mir. »Der Film dauert 90 Minuten, aber die Leute denken, sie könnten in der Zeit verhungern.«
Ich erkannte die Stimme sofort. Als ich mich umdrehte, den Eimer Popcorn unter den einen Arm geklemmt, Chipstüte und Eiskonfekt obenauf gestapelt und mit dem Kinn fixiert, die Getränke mit der anderen Hand gegen die Brust gedrückt, sah ich direkt in die Augen der Mutter des Jaguarmannes.
»Nur kein Neid«, sagte ich etwas mühsam. Mein Kinn knisterte in die Chipstüte.
Die Mutter des Jaguarmannes zog die Augenbrauen hoch und wandte sich ab. Sie hatte mich schon wieder nicht erkannt.
»Eine Tüte Weingummi bitte«, sagte sie zur Verkäuferin. Ich schielte im Vorbeigehen auf die Plakate. Was wollte sich die alte Schachtel hier am helllichten Nachmittag angucken? Brad Pitts nackten Hintern?
Wir hatten gute Plätze in der zweiten Reihe von hinten, Mitte, und weil ich so lange nicht mehr im Kino gewesen war, genoss ich sogar die Werbung. Dummerweise nur saßen die Mutter des Jaguarmannes und die kleine Emily schräg hinter uns.
Emily hatte uns natürlich erkannt. »Guck mal, Oma, das ist der Julius aus meinem Kindergarten und seine Mutter«, sagte sie.
»Freut mich, Sie kennen zu lernen«, sagte die Oma ungefähr so erfreut, als habe sie gerade Hämorrhoiden an ihrem Hintern entdeckt.
»Wir kennen uns doch«, sagte ich. »Sie haben mich neulich mit Ihrem Mercedes fast getötet.«
»Ach«, sagte die Frau gedehnt. Dann sah sie auf meine Kinder und unseren reichlichen Proviant und sagte: »Na, das passt ja!«
Was sollte denn das schon wieder heißen? Diese Frau trieb mich wirklich jedes Mal auf die Palme.
»Möchtest du Eiskonfekt?«, fragte Julius Emily.
»Nein danke«, sagte die Mercedes-Schrulle. »Emily hat Weingummi.«
Neben ihr saß ein etwas abgerissen aussehender junger Mann mit Jeansjacke. »Aber ich würde gerne etwas Eiskonfekt haben, wenn's geht«, sagte er.
Die Mercedes-Schrulle wedelte mit der Hand vor ihrer Nase in der Luft herum. »Kann es sein, dass Sie eine Überdosis Knoblauch zu sich genommen haben junger Mann?«
»Ganz normal Gyros mit Zaziki«, sagte der junge Mann.
»Unverschämtheit«, sagte die Mercedes-Schrulle. »Wenn man so stinkt, geht man doch nicht unter Leute.«
»Ich rieche selber gar nichts«, sagte der junge Mann und wandte sich an mich. »Riechen Sie was?«
»Nein«, sagte ich. Er saß glücklicherweise zu weit weg.
Die Mercedes-Schrulle sah mich an, als habe sie nichts anderes von mir erwartet. Sie und Emily rückten einen Platz weiter. Sie saßen jetzt direkt hinter mir, und ich bildete mir ein, ihre spitzen Knie in meinem Rücken zu spüren.
Der junge Mann nahm sich noch ein Eiskonfekt, dann wurde es wieder dunkel, und der Film fing an. Er zog mich sofort in
Weitere Kostenlose Bücher