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Die Mütter-Mafia

Titel: Die Mütter-Mafia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kerstin Gier
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Bettgeschichten vorzuweisenhatte. Sie hatte sofort angeboten, Julius heute vom Kindergarten abzuholen, »falls Anton dich zum Mittagessen einlädt«, und es fehlte eigentlich nur noch, dass sie ein Hotelzimmer für uns gebucht und mir eine Packung Kondome in die Hand gedrückt hätte. Während ich mich im Spiegel betrachtete, sah ich, wie jemand neben mich trat. Es war der Jaguarmann.
    Mein Herz setzte für einen Schlag aus, bevor es wie wild zu klopfen anfing. Der Jaguarmann guckte mit einer Art mildem Erstaunen auf mich hinunter. Ich hasste das Schicksal dafür, dass es mir diesen Menschen ständig über den Weg laufen ließ.
    »Was machen Sie denn hier?«, fragte ich.
    »Hm, also, jetzt haben Sie mich erwischt«, sagte der Jaguarmann. »Ich bin hier, um mir eine neue Frau aus Fernost zu kaufen. Im sechsten Stock sitzt das beste Frauenhandelsyndikat des Landes. Die haben dort eine Wahnsinnsauswahl.«
    Ich wurde noch röter, als ich ohnehin schon war. »Hören Sie, ich wollte Sie gestern wirklich nicht beleidigen«, sagte ich. »Ich wollte Ihre Mutter beleidigen.«
    Der Jaguarmann zog die Augenbrauen hoch.
    Ich hätte einfach den Mund halten können, aber stattdessen plapperte ich einfach weiter. »Weil sie mich zuerst beleidigt hat. Jedes Mal, wenn wir uns treffen, bringt sie mich mit ihrer Arroganz auf die Palme. Bei unserem ersten Treffen hätte sie mich beinahe überfahren. Und im Grunde habe ich vollstes Verständnis für Sie, auch wenn ich das, was Sie getan haben, natürlich nicht wirklich billige, aber es war eben Ihre Art zu rebellieren und sich für die Erziehung Ihrer Mutter zu revanchieren. Ich glaube nicht, dass Sie dafür verantwortlich gemacht werden können, dass Ihre Mutter Sie zu früh aufs Töpfchen gesetzt hat.«
    »Man kann mich nicht dafür verantwortlich machen, dass ich zu früh aufs Töpfchen gesetzt wurde?«, wiederholte der Jaguarmann entgeistert.
    »Nein, im Grunde sind Sie ein Opfer«, sagte ich. »Wenn ichSie ansehe, dann sehe ich in Ihnen den kleinen, vernachlässigten, einsamen, reichen Jungen, der der Welt beweisen wollte, dass Liebe und Geld nichts miteinander zu tun haben. Das entschuldigt natürlich nicht alles, was Sie getan haben, aber es ist immerhin eine Erklärung.«
    Der Jaguarmann sah mich mit gerunzelter Stirn an. »Das sehen Sie, wenn Sie mich angucken? Einen kleinen Jungen? Wissen Sie, das ist was ganz Neues für mich. Die meisten Frauen sagen, ich sähe aus wie der große Bruder von Johnny Depp.«
    »Na ja«, sagte ich. Eingebildet war der wohl gar nicht. »Ich bin eben nicht wie andere Frauen.«
    »Das stimmt wohl. Sagen Sie, würden Sie mit diesem faszinierenden psychologischen Gutachten auch bei Gericht für mich aussagen?«, fragte der Jaguarmann.
    »Ich hoffe, das wird nicht nötig sein«, sagte ich. Was wollte er tun? Seine Mutter vom Balkon schubsen? Ich hätte vollstes Verständnis dafür gehabt. Aber mir war klar, dass er nur versuchte, das Ganze etwas ins Lächerliche zu ziehen, um der Angelegenheit das Peinliche zu nehmen. Ich würde sagen, dafür war es längst zu spät. »Und weswegen sind Sie nun wirklich hier?«
    »In Wirklichkeit gehe ich zu dem Psychiater im dritten Stock«, sagte der Jaguarmann. »Und Sie?«
    »Ich habe einen Termin mit meinem Scheidungsanwalt«, sagte ich. »Im zehnten Stock.«
    Der Jaguarmann lachte laut auf.
    »Was ist denn daran so komisch?«, fragte ich. »Jede vierte Ehe in Deutschland wird geschieden, das heißt nicht, dass ich auch zu früh aufs Töpfchen gesetzt wurde, falls Sie das meinen.«
    Der Jaguarmann lachte immer noch. »Na, dann steigen Sie doch mal ein«, sagte er und zeigte auf die Aufzugtüren, die sich geöffnet hatten.
    Sein Lachen erschien mir so unpassend, und seine Augen leuchteten so merkwürdig, dass ich es mit der Angst zu tun bekam.
    »Nein, danke, ich gehe zu Fuß«, sagte ich. »Treppensteigen ist ja so gesund.«
    »Tja, dann ...« Der Jaguarmann trat ohne mich in den Aufzug. »Wir sehen uns«, sagte er.
    »Klar«, sagte ich. Das Letzte, was ich sah, bevor die Aufzugstüren sich schlossen, waren die leuchtenden, dunklen Augen. Er sah wirklich aus wie Johnny Depp. Nicht wie dessen großer Bruder.
    Es dauerte etwas, bis ich die Treppen gefunden hatte - gut versteckt -, und ich hatte auf dem Weg in den zehnten Stock genug Zeit, über mich und den Jaguarmann nachzudenken. Ich kam zu dem Schluss, dass das eben die weitaus peinlichste Begebenheit meines Lebens gewesen war. Mir fiel auch niemand ein, dem je

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