Die Mumie
zum Besten gab, wirklich zu verstehen.
Nicht so Elliott, der ihn unablässig bedrängte.
»Die Schlachten in der Antike. Wie waren sie wirklich? Ich meine, wir haben die großen Reliefs im Tempel von Ramses dem Dritten gesehen…«
»Ja, ein kluger Mann, ein würdiger Namensvetter…«
»Was haben Sie gesagt?«
»Ein würdiger Namensvetter Ramses des Zweiten, mehr nicht, fahren Sie fort.«
»Aber hat der Pharao selbst auch gekämpft?«
»Aber selbstverständlich. Er führte seine Truppen an, er war das Vorbild. Der Pharao konnte in einer Schlacht zweihundert Schädel mit seiner Streitaxt spalten, und er konnte über das Schlachtfeld gehen und die Verwundeten und Sterbenden auf dieselbe Weise hinrichten. Wenn er sich in sein Zelt zurückzog, waren seine Arme bis zu den Ellbogen in Blut getränkt.
Aber vergessen Sie nicht, genau das erwartete man von ihm.
Wenn der Pharao fiel… nun, dann war die Schlacht zu Ende.«
Schweigen.
Ramsey fuhr fort: »Das interessiert Sie doch nicht wirklich?
Doch die moderne Kriegsführung ist abscheulich. Der letzte Krieg in Afrika, bei dem Menschen von Kanonen zerfetzt wurden. Und der Bürgerkrieg in den Vereinigten Staaten – welch ein Grauen. Die Zeiten ändern sich, aber sie ändern sich nicht notwendigerweise zum…«
»Genau. Könnten Sie selbst so etwas tun? Einen Schädel nach dem anderen einschlagen?«
Ramses lächelte. »Sie sind ein tapferer Mann, hab ich recht, Lord Elliott, Earl of Rutherford. Ja, ich könnte es. Und Sie könnten es auch, wenn Sie Pharao wären. Dann könnten Sie es auch.«
Das Schiff bewegte sich weiter durch das graue Meer. Die Küste von Afrika war bereits in Sichtweite. Die Party war fast vorbei.
Es war ein gelungener Abend gewesen. Alex hatte sich früh zurückgezogen. Julie und Ramses tanzten noch die halbe Nacht. Sie hatte ein wenig zuviel Wein getrunken.
Als sie jetzt im niederen Korridor vor ihrer Kabine standen, verspürte sie wie immer die Sehnsucht, die Versuchung und die Verzweiflung, denen sie nicht nachgeben durfte.
Sie war vollkommen unvorbereitet, als Ramses sie herumwir-belte, an die Brust zog und fordernder als sonst küßte. Der Kuß hatte etwas schmerzlich Drängendes. Sie merkte, daß sie kämpfte, dann wich sie, den Tränen nahe, zurück und hob die Hand, um ihn zu schlagen. Sie tat es nicht.
»Warum versuchst du, mich zu zwingen?« sagte sie.
Der Blick in seinen Augen machte ihr Angst.
»Ich bin ausgehungert«, sagte er, und alle Höflichkeit war dahin, »ausgehungert nach dir, nach allem. Nach Essen und Trinken und Sonnenschein und dem Leben selbst. Aber am meisten nach dir. Es ist ein Schmerz in mir! Und ich bin seiner überdrüssig.«
»Großer Gott!« flüsterte sie. Sie bedeckte ihr Gesicht mit den Händen. Warum leistete sie Widerstand? Einen Augenblick wußte sie es selbst nicht.
»Das macht das Elixier in meinen Adern«, sagte er. »Ich brauche nichts, und doch bringt mir nichts die Erfüllung. Nur die Liebe, vielleicht. Und darum warte ich.« Seine Stimme wurde leiser. »Ich kann darauf warten, daß du mich liebst. Wenn du es so willst.«
Sie lachte plötzlich. Wie klar alles war.
»Aber trotz deiner Weisheit verdrehst du etwas«, sagte sie.
»Es ist notwendig, daß du mich liebst.«
Sein Gesicht wurde ausdruckslos. Dann nickte er langsam. Er sah sie nur an. Sie konnte sich nicht vorstellen, was er dachte.
Sie machte rasch die Tür auf, ging hinein und setzte sich auf das Sofa. Sie barg das Gesicht in den Händen. Wie kindisch sich das angehört hatte. Und doch stimmte es auf herzzerrei-
ßende Weise. Da fing sie leise an zu weinen und hoffte, Rita würde sie nicht hören.
Laut Steuermann waren es noch vierundzwanzig Stunden bis Alexandria.
Er lehnte an der Reling und starrte in den dichten Nebel hinaus, der über dem Wasser lag.
Es war vier Uhr. Nicht einmal der Earl of Rutherford war wach.
Auch Samir hatte fest geschlafen, als Ramses zum letzten Mal in ihren Kabinen gewesen war. Er war ganz allein an Deck.
Er freute sich. Ihm gefiel das dumpfe Dröhnen der Maschinen, das durch die große Stahlhülle drang. Ihm gefiel die Kraft des Schiffes. Trotzdem stand der Mensch des zwanzigsten Jahrhunderts im Widerspruch zu seinen großen Maschinen und Erfindungen, denn er war immer noch dieselbe zweibeinige Kreatur, die er immer gewesen war. Und doch brachten seine Erfindungen stets neue Erfindungen hervor.
Er zog eine Zigarre heraus – eine milde, die ihm der Earl of Rutherford gegeben hatte,
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