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Die Mumie

Die Mumie

Titel: Die Mumie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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und schützte das Streichholz beim Anzünden sorgsam mit der hohlen Hand. Das Ding schmeckte göttlich. Er machte die Augen zu, spürte den Wind auf seiner Haut und dachte wieder an Julie Stratford, die, wie er wußte, wohlbehalten in ihrem kleinen Schlafgemach weilte.
    Aber das Bild von Julie Stratford verblaßte. Er sah Kleopatra.

    Noch vierundzwanzig Stunden bis Alexandria.
    Er sah den Versammlungsraum im einstigen Palast, den langen Marmortisch und sie, die junge Königin – so jung wie Julie Stratford jetzt war -, die sich mit ihren Botschaftern und Bera-tern unterhielt.
    Er befand sich in einem Nebenzimmer. Er war lange Zeit unterwegs gewesen, weit im Norden und Osten, in Königreichen, die ihm in früheren Jahrhunderten überhaupt nicht bekannt gewesen waren. Als er in der Nacht zurückgekommen war, hatte er sich sofort in ihr Schlafgemach begeben.
    Bei geöffneten Fenstern hatten sie sich die ganze Nacht geliebt. Sie wollte ihn so sehr wie er sie, denn obschon er in den vorangegangenen Monaten Hunderte von Frauen gehabt hatte, liebte er nur Kleopatra. Sie waren beide so erregt gewesen, daß er ihr zuletzt beinahe weh getan hatte, und trotzdem hatte sie ihn aufgefordert, weiter zu machen, hatte ihn mit den Armen fest umklammert und ihn immer und immer wieder in sich aufgenommen.
    Die Audienz war zu Ende. Er sah, wie sie ihre Höflinge entließ.
    Er sah, wie sie von ihrem Stuhl aufstand und auf ihn zu kam –
    eine große Frau mit einem herrlichen Körper und einem langen, wunderbar entblößten Hals. Ihr pechschwarzes Haar war auf römische Weise aus dem Gesicht gekämmt und am Hinterkopf zu einem Kreis geflochten.
    Sie sah ihn herausfordernd an. Das hocherhobene Kinn vermittelte den Eindruck von Kraft und Stärke.
    Erst als sie die Vorhänge zugezogen hatte, wandte sie sich ihm zu. Sie lächelte, und ihre dunklen Augen leuchteten.
    Es hatte eine Zeit in seinem Leben gegeben, als er ausschließlich dunkeläugige Wesen gekannt hatte. Er war der einzige mit blauen Augen gewesen, weil er das Elixier getrunken hatte. Dann hatte er ferne Länder bereist, Länder, von denen die Ägypter nichts wußten, und er hatte Männer und Frauen mit hellen Augen kennengelernt. Doch so bestechend sie waren, für ihn blieben braune Augen stets die wahren Augen, die Augen, die er auf der Stelle ergründen konnte.
    Julie Stratfords Augen waren dunkelbraun und groß und voll unbekümmerter Zuneigung, so wie Kleopatras Augen an jenem Tag, als sie ihn in die Arme geschlossen hatte.
    »Was sind meine Lektionen für heute nachmittag?« hatte sie auf griechisch gefragt, der einzigen Sprache, die sie unterein-ander gebrauchten, und etwas in ihrem Blick kündete von der langen Liebesnacht.
    »Einfach«, sagte er. »Verkleide dich und komm mit mir und begib dich unter dein Volk. Damit du siehst, was keine Königin je sehen kann. Das verlange ich von dir.«
    Alexandria. Wie würde es morgen aussehen? Damals war die Stadt griechisch gewesen, mit gepflasterten Straßen und weißgetünchten Wänden. Händler hatten von dort aus mit der ganzen Welt Handel betrieben. Im Hafen tummelten sich Weber, Juweliere, Glasbläser und Papyrushersteller. Sie arbeiteten und bevölkerten die tausend Marktbuden über dem überfüllten Hafen.
    Gemeinsam waren sie über den Basar gegangen, beide in die schlichten Gewänder gehüllt, die alle Frauen und Männer trugen, die nicht erkannt werden wollten. Zwei Reisende durch die Zeit. Und er hatte von so vielem zu ihr gesprochen – von seinen Reisen nach Gallien, von seiner langen Reise nach Indien. Er war auf Elefanten geritten und hatte den großen Tiger mit eigenen Augen gesehen. Er war nach Athen zurückgekehrt, um den Philosophen zu lauschen.
    Und was hatte er erfahren? Daß Julius Cäsar, der römische Feldherr, die Welt erobern würde, daß er auch Ägypten einnehmen würde, wenn Kleopatra ihn nicht daran hinderte.
    Was hatte sie an jenem Tag gedacht? Hatte sie ihn einfach nur reden lassen, ohne auf seinen dringenden Rat zu hören?
    Hatte sie die gewöhnlichen Menschen um sich herum wirklich gesehen? Hatte sie die Frauen und Kinder, die an den Waschzubern und Webstühlen arbeiteten, besser verstanden?
    Die Seeleute aus aller Herren Länder, die die Bordelle suchten?
    Zur großen Universität waren sie gegangen, um in der Säulen-halle den Gelehrten zuzuhören.
    Schließlich hatten sie in einem gestampften Innenhof Rast gemacht. Aus dem gewöhnlichen Brunnen hatte Kleopatra getrunken, aus dem gewöhnlichen

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