Die Mumie
Sandkörnchen in der Luft schützen. Er sprach jetzt leise und langsam:
»Die Griechen waren in unser Land gekommen. Alexander, Erbauer von Städten und Schöpfer neuer Götter. Ich wollte nur den todesähnlichen Schlaf. Und doch hatte ich Angst wie jeder Sterbliche.«
»Ich weiß«, flüsterte sie. Ein Schaudern durchlief sie.
»Schließlich handelte ich wie ein Feigling. Ich begab mich ins Grab, in die Dunkelheit, in der ich, wie ich inzwischen wußte, allmählich schwächer werden und schließlich in einen tiefen Schlaf versinken würde, aus dem ich nicht erwachen konnte.
Aber die Priester des königlichen Hauses wußten, wo ich ruhte, und sie wußten auch, daß das Sonnenlicht mich wieder erwecken konnte. Sie gaben das Geheimnis an jeden neuen Herrscher in Ägypten weiter und ließen ihn gleichzeitig wissen, daß ich nach Erwachen nur dem Wohle Ägyptens dienen wür-de. Und wehe dem, der dreist genug war, mich aus reiner Neugier zu wecken, oder mit bösen Absichten. Dann würde ich Rache nehmen.«
Sie traten aus der Tempelanlage heraus. Sie blieben stehen, als er sich umdrehte und an der kolossalen sitzenden Statue hinaufsah. Das Gesicht des Königs hoch droben wurde vom Mond beschienen.
»Warst du überhaupt bei Bewußtsein, während du geschlafen hast?«
»Ich weiß nicht. Diese Frage stelle ich mir selbst! Hin und wieder war ich dem Wachsein ziemlich nahe, dessen bin ich mir sicher. Und ich habe geträumt, und wie ich geträumt habe.
Doch was ich wußte, wußte ich wie in einem Traum. Es bestand keine Dringlichkeit, keine Notwendigkeit. Und weißt du, ich konnte mich nicht aufwecken. Ich hatte nicht die Kraft, an der Kette zu ziehen, damit Sonnenlicht durch das Holztor über mir fiel. Vielleicht wußte ich, was in der Welt draußen vor sich ging. Es überraschte mich jedenfalls nicht, als ich es später erfahren habe. Ich war zur Legende geworden – Ramses der Verdammte, Ramses der Unsterbliche, der in seiner Höhle schlief und darauf wartete, daß ein tapferer König oder eine Königin von Ägypten ihn weckte. Ich denke, sie haben es eigentlich nicht mehr geglaubt. Bis…«
»Sie gekommen ist.«
»Sie war die letzte Königin, die über Ägypten geherrscht hat.
Und die einzige, der ich je die ganze Wahrheit gesagt habe.«
»Und hat sie das Elixier wirklich verweigert?«
Er zögerte. Es schien, als wollte er nicht antworten. Dann sagte er:
»Sie hat es auf ihre Weise verweigert. Weißt du, letztendlich konnte sie nicht begreifen, was es war, dieses Elixier. Später hat sie mich angefleht, es Markus Antonius zu geben.«
»Ich verstehe. Ein Wunder, daß ich nicht selbst draufgekom-men bin.«
»Markus Antonius hatte nicht nur sein Leben zerstört, sondern auch ihres. Aber sie wußte nicht, was sie verlangte. Sie begriff es nicht. Sie wußte nicht, was es bedeutet hätte – ein egoistisches Königspaar mit dieser Macht. Und die Formel, die hätten sie auch gewollt. Irgendwann hätte Antonius auch eine unsterbliche Armee gewollt!«
»Großer Gott!« flüsterte sie.
Ramses verstummte und entfernte sich von ihr. Sie waren ein Stück weit gegangen, als er sich erneut umdrehte und noch einmal die gigantischen sitzenden Statuen betrachtete.
»Aber warum hast du die Geschichte in den Schriftrollen festgehalten?« fragte sie. Sie konnte nicht anders.
»Feigheit, meine Liebe. Feigheit und der Wunsch, jemand möge kommen und mich und meine seltsame Geschichte finden und damit die Last des Geheimnisses von meinen Schultern nehmen! Ich hatte versagt, meine Liebste. Meine Kräfte waren verbraucht. Und daher versank ich in meine Träume und ließ die Geschichte zurück… wie ein Opfer an das Schicksal. Ich konnte nicht mehr stark sein.«
Sie machte einen Schritt auf ihn zu und schlang die Arme um ihn. Er sah sie nicht an. Er sah immer noch die Statuen an.
Tränen standen ihm in den Augen.
»Vielleicht träumte ich, eines Tages in einer neuen Welt geweckt zu werden. Von neuen und weisen Wesen. Vielleicht habe ich von jemandem geträumt, der… die Herausforderung annehmen würde.« Seine Stimme brach. »Damit ich nicht mehr der einsame Wanderer sein müßte. Ramses der Verdammte würde wieder zu Ramses dem Unsterblichen werden.«
Es schien, als hätten ihn seine eigenen Worte überrascht.
Dann sah er sie an, schloß die Hände fest um ihre Schultern und küßte sie.
Sie ließ es geschehen. Sie spürte, wie seine Arme sie hoch-hoben. Sie lehnte sich an seine Brust, als er sie zum Zelt und dem
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