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Die Mumie

Die Mumie

Titel: Die Mumie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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das nicht, das wußte er. Und tatsächlich mochte er den jungen Savarell so sehr, daß er ihm nicht absichtlich wehtun wollte. Und Elliott wollte er unter gar keinen Umständen vor den Kopf stoßen. Mit Elliott verband ihn inzwischen fast eine Freundschaft.
    Als er die ersten Geräusche der anderen an Deck hörte, machte er die Phiole zu und steckte sie wieder in seinen Geldgürtel. Er stand auf und zog sich um. Dann erschreckte ihn ein Geräusch.
    Die Kabine war inzwischen in rötliches Morgenlicht getaucht.

    Einen Augenblick wagte er nicht, sich umzudrehen. Dann hör-te er es wieder, dieses Geräusch! Ein Kratzen.
    Er spürte, wie das Blut in seinen Schläfen pochte. Schließlich wirbelte er herum und sah auf das Ding hinab. Die Hand lebte!
    Sie bewegte sich. Sie lag auf dem Handrücken, dann spannte sie sich, krümmte sich, wippte auf dem Tisch und kippte schließlich um wie ein großer Skarabäus auf fünf Beinen und kratzte auf der Schreibtischunterlage.
    Voller Grauen wich er zurück. Sie bewegte sich auf dem Schreibtisch, tastete sich suchend vorwärts, fiel über die Kante und landete vor seinen Füßen auf dem Boden.
    Ein Gebet kam ihm über die Lippen. Götter der Unterwelt, ver-gebt mir meine Blasphemie! Heftig zitternd beschloß er, sie aufzuheben, brachte es aber nicht über sich.
    Wie ein Wahnsinniger sah er sich in der Kabine um. Das Tablett, das Tablett mit dem Essen, das immer für ihn bereit stand. Darauf lag ein Messer. Er fand es rasch, ein scharfes Tranchiermesser, packte es, durchbohrte die Hand und legte sie auf den Schreibtisch zurück. Sie wand sich und zuckte, als wollte sie selbst nach der Klinge greifen.
    Mit der linken Hand drückte er sie nieder und stach immer wieder darauf ein, bis er das ledrige Fleisch und die Knochen in Stücke geschnitten hatte. Sie blutete. Bei den Göttern, die Stücke bewegten sich immer noch. Sie wurden rosa, nahmen die Farbe von gesundem Fleisch an – im immer helleren Licht des Tages.
    Er eilte in das kleine Bad, holte ein Handtuch, kam zurück und sammelte alle blutigen Fetzen ein. Dann band er das Handtuch zu und bearbeitete es zuerst mit dem Messergriff und dann mit dem Fuß der Tischlampe, deren Kordel er aus der Steckdose gerissen hatte. Er spürte, wie die blutige Masse sich immer noch bewegte.
    Er stand da und weinte. O Ramses, du Narr! Kennt deine Torheit keine Grenzen! Dann nahm er das Bündel an sich, wobei er nicht auf die Wärme achtete, die er durch den Stoff spürte, begab sich an Deck und schüttelte das Handtuch über dem dunklen Fluß aus.
    Die blutigen kleinen Stücke waren im Handumdrehen verschwunden. Er stand schweißgebadet da und hielt das blutige Handtuch in der Linken, bis er auch dieses den dunklen Fluten überantwortete. Dann lehnte er sich an die Wand und sah zum fernen Ufer mit dem goldenen Sand und den Hügeln, die im Morgenlicht immer noch blaßviolett aussahen.
    Die Jahre verrannen. Er hörte das Weinen im Palast. Er hörte seinen Hofmarschall schreien, bevor er die Tür des Thron-saals erreichte und sie aufstieß.
    »Es bringt sie um, mein König. Sie würgen und erbrechen, sie erbrechen Blut.«
    »Sammle alles ein, verbrenne es!« schrie er. »Jeden Baum, jede Getreideähre! Wirf alles in den Fluß.«
    Torheit. Unglück.
    Aber schließlich war er nur ein Mann seiner Zeit gewesen.
    Was hatten die Magier von Zellen und Mikroskopen und echter Arznei gewußt?
    Doch er hörte immer noch die Schreie, die Schreie von Hunderten, die aus ihren Häusern stolperten und zum Versamm-lungsplatz vor dem Palast stürmten.
    »Sie sterben, mein König. Es liegt am Fleisch. Es vergiftet sie.«
    »Schlachte die restlichen Tiere.«
    »Aber mein König…«
    »Zerhacke sie in Stücke, hast du verstanden? Wirf sie in den Fluß!«
    Jetzt sah er in die Wassertiefen hinab. Irgendwo stromauf-wärts lebten die winzigen Fetzen und Stückchen der Hand immer noch. Irgendwo tief im Schlamm und Sand lebte das Getreide noch. Lebten die Fetzen der uralten Tiere noch!
    Ich sage dir, es ist ein schreckliches Geheimnis. Ein Geheimnis, das das Ende der Welt bedeuten könnte.
    Er ging in seine Kabine zurück, verriegelte die Tür, sank auf einen Stuhl und weinte bitterlich.

    Es war Mittag, als er an Deck kam. Julie saß auf ihrem Lieb-lingssessel und las in dem Geschichtsbuch, das so voller Fehler war, daß er lachen mußte. Sie schrieb eine Frage an den Rand, die sie ihm selbstverständlich stellen und die er beantworten würde.
    »Endlich bist du wach«, sagte

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