Die Mumie
holte das Geld aus der Jacke des Jungen.
Eine Menge Geld in einem kleinen Lederetui. Sie steckte es in ihre Tasche. Auch andere Sachen waren da. Eine Karte mit englischer Schrift und einem winzigen Porträt des Jungen, wie bemerkenswert. Wunderbare Arbeit. Und dann zwei kleine steife Papiere, auf denen AIDA geschrieben stand. Und OPER. Und dieselbe Zeichnung, die sie in der »Schrift« gesehen hatte, vom Kopf einer ägyptischen Frau.
Sicher lohnte es sich, auch diese mitzunehmen. Das Bild des toten Mannes warf sie weg. Als sie jetzt auch die kleinen Opernpapiere einsteckte, sang sie wieder leise »Celeste Aida«
vor sich hin. Dann stieg sie über den toten Jungen und betrat wieder die lärmende Straße.
Hab keine Angst. Mach es wie sie. Wenn sie nahe am Metallweg gehen, mußt du es auch tun. Aber kaum war sie ein paar Schritte gegangen, ertönte erneut das schrille Pfeifen des eisernen Wagens. Sie hielt sich die Ohren zu und schrie, obwohl sie es nicht wollte, und als sie wieder aufsah, stand ein anderer hübscher Mann vor ihr.
»Kann ich Ihnen helfen, kleine Lady? Sie haben sich doch nicht etwa verirrt? Sie sollten nicht hier am Bahnhof stehen und das Geld so aus der Tasche hängen lassen.«
»Bahnhof…«
»Haben Sie keine Handtasche?«
»Nein«, sagte sie unschuldig. Sie duldete, daß er ihren Arm ergriff. »Helfen Sie mir?« sagte sie, als ihr der Ausdruck wieder einfiel, den Lord Rutherford ihr gegenüber mindestens hundert Mal benützt hatte. »Kann ich Ihnen vertrauen?«
»Aber ja, selbstverständlich!« antwortete er. Und es war sein Ernst. Wieder ein junger. Mit glatter, wunderschöner Haut!
Zwei Araber verließen das Shepheard Hotel durch den Hinterausgang, einer war größer als der andere, beide schritten schnell aus.
»Vergessen Sie nicht«, flüsterte Samir, »machen Sie sehr große Schritte. Sie sind ein Mann. Männer machen keine kleinen Schritte, und schwingen Sie die Arme ganz natürlich.«
»Den Trick hätte ich schon vor langer Zeit lernen sollen«, antwortete Julie.
Vor der Großen Moschee drängten sich Gläubige und Touristen, die gekommen waren, um dieses Wunder zu bestaunen und knieende betende Moslems sehen wollten. Julie und Samir schlenderten gemächlich durch den Strom der Touristen.
Nach wenigen Minuten hatten sie den großen Araber mit der dunklen Brille im wallenden weißen Gewand erspäht.
Samir drückte Ramses einen Schlüssel in die Hand. Er flüsterte eine Adresse und beschrieb schnell und leise den Weg.
Ramses sollte ihm folgen. Es war kein langer Marsch.
Er und Julie gingen voran, Ramses folgte wenige Schritte hinter ihnen.
Diesen mochte sie. Er nannte sich Amerikaner und sprach mit einem seltsamen Akzent. Sie fuhren gemeinsam im »Taxi«, das von Pferden gezogen wurde zwischen den »Automobilen«
dahin. Und sie hatte keine Angst mehr.
Bevor sie den »Bahnhof« verlassen hatte, war ihr klargewor-den, daß die großen Wagen aus Eisen Menschen transportier-ten. Nur ein gewöhnliches Transportmittel. Wie seltsam.
Der hier war nicht so elegant wie Lord Rutherford, auf gar keinen Fall, aber er sprach langsamer, und es fiel ihr immer leichter zu verstehen, besonders wenn er beim Sprechen mit der Hand auf die jeweiligen Dinge zeigte. Sie wußte jetzt, was ein Ford und ein Stutz Bearcat war, und auch, was ein kleiner Roadster war. Dieser Mann verkaufte so etwas in Amerika. In Amerika war er ein Händler, der mit Automobilen von Ford handelte. Selbst arme Menschen konnten sich diese fahrenden Maschinen kaufen.
Sie hielt die Stofftasche fest, die er ihr gekauft hatte, in der sie nun das Geld und die Papiere aufbewahrte, auf denen OPER
stand.
»Und hier wohnen die Touristen«, sagte er zu ihr, »mehr oder weniger. Ich meine, dies ist der britische Sektor…«
»Englisch«, sagte sie.
»Ja, aber alle Europäer und Amerikaner kommen hierher. Und dieses Gebäude da, dort wohnen alle besseren Leute, die Briten und Amerikaner, das ist das Shepheard, das Hotel, wenn Sie verstehen, was ich meine.«
»Shepheard – das Hotel?« Sie lachte kurz.
»Dort wird morgen abend der Opernball stattfinden. Dort wohne ich. Ich mag Opern nicht besonders« – er verzog das Gesicht ein wenig -, »habe mich nie dafür interessiert. Aber in Kairo, nun, wissen Sie, da ist es ein besonderes Ereignis.«
»Ein besonderes Ereignis.«
»Wirklich besonders. Daher habe ich mir überlegt, daß es wohl am besten ist, wenn ich hingehe, auch zum Ball hinterher, obwohl ich mir einen Frack
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