Die Mumie
sagte sie und sah ihn im Spiegel an. »Frag sie, was zu tun ist. Mein Gott würde dich nur verfluchen. Aber was immer mit diesem Geschöpf geschieht, eines ist sicher.« Sie drehte sich um und sah ihm in die Augen. »Du darfst dieses Elixier nie, nie wieder herstellen. Was noch da ist
– trink du es. Jetzt, in meiner Gegenwart. Und dann tilge die Formel aus deinem Gedächtnis.«
Keine Antwort. Langsam nahm er den Kopfschmuck ab und strich sich mit einer Hand durch das Haar. Er sah dadurch noch stattlicher und verführerischer aus. Eine biblische Gestalt mit wallendem Haar und wallenden Gewändern. Sie ärgerte sich ein wenig und die Tränen waren um so näher.
»Ist dir klar, was du sagst?«
»Wenn es zu gefährlich ist, es zu trinken, dann such einen Ort weit draußen in der Wüste, grab einen tiefen Schacht und schütte es hinein! Aber schaff es weg.«
»Ich will dir eine Frage stellen.«
»Nein.« Sie drehte ihm wieder den Rücken zu. Sie hielt sich die Ohren zu. Als sie aufschaute, sah sie im Spiegel, daß er direkt hinter ihr stand. Wieder das Bewußtsein, daß ihre eigene Welt zerstört war, daß ein strahlendes Licht alles andere in hoffnungslose Schatten getaucht hatte.
Er nahm sanft ihre Hände und zog sie von den Ohren weg.
Ihre Augen trafen sich im Spiegel und er drückte seinen warmen Körper dicht an sie.
»Julie, gestern nacht. Wenn ich das Elixier nicht mit ins Museum genommen hätte, wenn ich es nicht über Kleopatras sterbliche Überreste gegossen hätte – wenn ich es statt dessen dir angeboten hätte, hättest du es dann nicht genommen?«
Sie gab keine Antwort. Er packte sie jetzt grob am Handgelenk und drehte sie herum.
»Antworte mir! Hätte ich sie nie dort in diesem Glaskasten liegen sehen…«
»Aber du hast sie gesehen.«
Sie wollte standhaft bleiben, aber er überraschte sie mit seinem Kuß, mit seiner groben und verzweifelten Umarmung, mit seinen Händen, die gar nicht zärtlich über ihr Gesicht und ihre Wangen strichen. Wie ein Gebet klang ihr Name aus seinem Mund. Er murmelte etwas in der alten ägyptischen Sprache und sie wußte nicht, was er sagte. Und dann sagte er leise auf lateinisch, daß er sie liebte. Er liebte sie. Das schien irgendwie Erklärung und Entschuldigung zu sein, der Grund für all dieses Leiden. Er liebte sie. Er sagte es, als wäre es ihm gerade eben bewußt geworden. Jetzt flossen die Tränen wieder, dumm. Es machte sie wütend.
Sie trat zurück, dann küßte sie ihn und ließ sich wieder von ihm küssen, sank an seine Brust und ließ sich nur von ihm halten.
Dann sagte sie leise: »Wie sieht sie aus?«
Er seufzte.
»Ist sie schön?«
»Sie war immer schön und ist auch jetzt schön. Sie ist die Frau, die Cäsar verführt hat, und Markus Antonius, und die ganze Welt.«
Sie versteifte sich, wich zurück.
»Sie ist so schön wie du«, sagte er. »Aber du hattest recht.
Sie ist nicht Kleopatra. Sie ist eine Fremde in Kleopatras Körper. Ein Ungeheuer, das durch Kleopatras Auge blickt. Das sich bemüht, Kleopatras Verstand für seine eigenen sinnlosen Vorteile auszunutzen.«
Was gab es noch zu sagen? Was konnte sie tun? Es lag an ihm, wie es das von Anfang an getan hatte. Sie wand sich aus seinen Armen, setzte sich, stützte den Ellbogen auf die Ses-sellehne und legte die Stirn auf die Hand.
»Ich werde sie finden«, sagte er. »Und ich werde diesen schrecklichen Fehler ungeschehen machen. Ich werde sie in die Dunkelheit zurückschicken, aus der ich sie geholt habe.
Und sie wird nur kurze Zeit leiden. Und dann wird sie schlafen.«
»Aber das ist furchtbar! Es muß einen anderen Weg geben…!« Sie fing an zu schluchzen.
»Was habe ich dir getan, Julie Stratford?« sagte er. »Was ha-be ich aus deinem Leben gemacht, deinen zarten Träumen und Wünschen?«
Sie holte das Taschentuch aus der Tasche und drückte es auf den Mund. Sie mußte mit diesem albernen Weinen aufhören.
Sie schneuzte sich die Nase, dann sah sie ihn an – dieser große, schöne, traumhafte Mann, der mit tragischem Gesichtsausdruck vor ihr stand. Ein Mann, nur ein Mann. Unsterblich, ja, dereinst Herrscher, immer ein Lehrmeister, vielleicht, aber menschlich wie wir alle. Fehlbar wie wir alle.
Liebenswert wie wir alle.
»Ich kann ohne dich nicht leben, Ramses«, sagte sie. »Vielleicht könnte ich es. Aber ich will nicht.« Jetzt Tränen in seinen Augen. Wenn sie nicht wegsah, würde sie wieder weinen. »Mit Vernunft ist hier gar nichts mehr auszurichten«, fuhr sie
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