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Die Mumie

Die Mumie

Titel: Die Mumie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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Museum. Ich schlendere durch die Flure, wenn alle schon gegangen sind. Wenn Sie zur Seitentür kommen, finden Sie mich.«
    Aber warum sagte er das alles? Was wollte er damit ausdrükken? Plötzlich wünschte er sich, die Kreatur würde wieder die alte Sprache sprechen. Er konnte sich die seltsame Mischung von Freude und Schmerz nicht erklären, die er empfand. Und auch nicht die seltsame Verdunkelung der Welt und die Wert-schätzung des Lichts, die er dadurch verspürt hatte.
    Er drehte sich um und eilte die Granitstufen hinunter an den uniformierten Wachen vorbei, ohne sie auch nur eines Blickes zu würdigen. Rasch schritt er durch die naßkalten Straßen. Er achtete nicht auf die Droschken, die langsamer fuhren. Er wollte nur allein sein. Er sah immerzu den Ring, hörte diese uralten ägyptischen Worte laut gesprochen, wie er sie noch niemals gehört hatte. Er wollte weinen. Ein Wunder war geschehen, doch irgendwie bedrohte es alles Wunderbare um ihn herum.
    »Lawrence, steh mir bei«, flüsterte er.

    Julie machte die Tür zu und schob den Riegel vor.
    Sie drehte sich zu Ramses um. Sie konnte Ritas Schritte einen Stock höher hören. Sie waren allein. Rita konnte sie nicht hö-
    ren.
    »Du möchtest ihm dein Geheimnis doch nicht anvertrauen!«
    fragte sie.
    »Der Schaden ist angerichtet«, sagte er leise. »Er kennt die Wahrheit. Und dein Cousin Henry wird es anderen erzählen.
    Und auch andere werden es glauben.«
    »Nein, das ist unmöglich. Du hast selbst gesehen, was mit der Polizei passiert ist. Samir weiß es, weil er den Ring gesehen hat, er hat ihn wiedererkannt. Und er ist gekommen, um sich zu vergewissern und zu überzeugen. Bei anderen wird das nicht so sein. Und irgendwie…«
    »Irgendwie?«
    »Du hast gewollt, daß er es weiß. Darum hast du ihn mit seinem Namen angesprochen. Du hast ihm gesagt, wer du bist.«
    »Wirklich?«
    »Ja, ich glaube, das hast du.«
    Er dachte darüber nach. Er fand die Vorstellung nicht besonders ansprechend. Aber es stimmte, das hätte sie beschwören können.
    »Wenn zwei glauben, können sie auch einen dritten überzeugen«, sagte er, als hätte sie nicht schon darauf hingewiesen.
    »Sie können es nicht beweisen. Du bist echt, ja, und der Ring ist echt. Aber was verbindet dich wirklich mit der Vergangenheit! Du verstehst unsere Zeit nicht, wenn du glaubst, daß so wenig ausreicht, die Menschen davon zu überzeugen, daß du auferstanden bist. Wir leben im Zeitalter der Wissenschaft, nicht im Zeitalter der Religion.«
    Er sammelte sich, neigte den Kopf und verschränkte die Arme und ging auf dem Teppich hin und her. Plötzlich blieb er stehen:
    »Oh, mein liebster Darling, wenn du nur verstehen könntest«, sagte er. Keine Dringlichkeit schwang in seiner Stimme mit, dafür aber tiefe Gefühle. Und es schien, als wäre der Tonfall inzwischen auf fast vertraute Weise englisch. »Ich habe diese Wahrheit fast tausend Jahre lang gehütet«, sagte er, »und selbst vor denen verborgen, die ich geliebt und denen ich gedient habe. Sie haben nie erfahren, woher ich kam, wie lange ich gelebt hatte oder was über mich gekommen war. Und nun bin ich in deine Zeit gestolpert und habe die Wahrheit während eines Mondes mehr Sterblichen verraten als allen zusammen, seit Ramses über Ägypten geherrscht hat.«
    »Ich verstehe«, sagte sie. Aber sie dachte etwas anderes, etwas ganz anderes. Du hast die Geschichte auf den Schriftrollen festgehalten. Du hast sie dort liegen lassen. Und zwar, weil du dieses Geheimnis nicht mehr alleine tragen konntest.
    »Du verstehst diese Zeit nicht«, sagte sie wieder. »Man glaubt nicht mehr an Wunder, nicht einmal die glauben daran, denen sie widerfahren.«
    »Wie seltsam, so etwas zu sagen!«
    »Würde ich es von den Dächern schreien, würde es niemand glauben. Dein Elixier ist sicher, mit oder ohne Gifte.«
    Ein tiefer Schmerz erfaßte ihn. Sie sah es. Sie spürte es. Sie bedauerte ihre Worte. Welch ein Wahnsinn zu glauben, daß dieses Wesen allmächtig war, daß sein unbekümmertes Lä-
    cheln nicht eine Verwundbarkeit verbarg, die ebenso groß war wie seine Stärke. Sie war ratlos. Sie wartete. Und dann wurde sie wieder von seinem Lächeln gerettet.
    »Was bleibt uns anderes übrig als abzuwarten, Julie Stratford?«
    Er seufzte. Er zog den Gehrock aus und begab sich ins Ägyptische Zimmer. Er betrachtete den Sarg, seinen Sarg, und dann die Reihe der Gefäße. Er griff nach unten und schaltete vorsichtig die elektrische Lampe an, wie er es bei ihr

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