Die Mumie
Sie…«
Er verstummte.
»Ich weiß, wer Sie sind«, sagte der Mann plötzlich mit einem reinen britischen Akzent. »Sie sind der Freund von Lawrence, richtig? Ihr Name ist Samir.«
»Haben wir uns schon kennengelernt?« sagte Samir. »Ich kann mich nicht erinnern.«
Seine Augen glitten zögernd über die Gestalt, die jetzt auf ihn zu kam, und plötzlich sah er starr auf die ausgestreckte Hand, auf den Rubinring und auf den Ring mit dem Schriftzeichen von Ramses dem Großen. Ihm schien, als wäre das Zimmer unwirklich geworden, als ergäben die Stimmen, die zu ihm sprachen, keinen Sinn. Es bestand keine Notwendigkeit zu antworten.
Der Ring, den er unter den Bandagen der Mumie gesehen hatte! Ein Irrtum war ausgeschlossen. Einen solchen Irrtum konnte er nicht machen. Und nichts von dem, was Julie sagte, konnte jetzt noch eine Rolle spielen. So höflich gesprochene Worte, aber lauter Lügen, und dieses Wesen sah ihn an und war sich sichtlich bewußt, daß er den Ring kannte, wußte auch, daß Worte einfach keine Rolle mehr spielten.
»Ich hoffe, Henry ist mit seinem Unsinn nicht zu Ihnen gelaufen gekommen…« Ja, das war der Sinn.
Aber es war gar kein Unsinn. Und langsam wandte er den Blick ab und zwang sich, mit eigenen Augen zu sehen, daß sie sicher und gesund und geistig normal war. Dann machte er die Augen zu, und als er sie wieder aufschlug, sah er nicht mehr den Ring an, sondern sah dem König ins Gesicht, in die ge-lassenen blauen Augen.
Als er wieder zu ihr sprach, waren seine Worte nur ein sinnloses Gemurmel.
»Ihr Vater hätte nicht gewollt, daß Sie ungeschützt sind. Ihr Vater hätte gewollt, daß ich komme…«
»Aber Samir, Freund von Lawrence«, sagte der andere, »Julie Stratford ist nicht in Gefahr.« Und plötzlich wechselte er ins alte Ägyptisch über und sprach mit einem Akzent, wie Samir ihn noch nie gehört hatte: »Diese Frau wird von mir geliebt, ihr wird kein Leid geschehen.«
Erstaunlich, dieser Klang. Er wich zurück. Julie redete wieder.
Und wieder hörte er nicht zu. Er war zum Kaminsims gegangen und hielt sich daran fest, als hätte er Angst zu stürzen.
»Sicher kennen Sie die alte Sprache der Pharaonen, mein Freund«, sagte der große, blauäugige Mann. »Sie sind Ägypter, stimmt’s? Sie haben sie Ihr Leben lang studiert. Sie können sie so gut lesen wie Latein oder Griechisch.«
Diese wohlklingende Stimme, die versuchte, jegliche Angst zu vertreiben. Kultiviert, höflich. Was konnte sich Samir mehr wünschen?
»Ja, Sir, Sie haben recht«, sagte Samir. »Aber ich habe sie noch nie gesprochen gehört, und der Akzent war mir bisher unbekannt. Aber Sie müssen mir sagen…« Er zwang sich, den Mann wieder direkt anzusehen. »Sie sind Ägyptologe, hat man mir gesagt. Glauben Sie, es war der Fluch des Grabes, der meinen Freund Lawrence getötet hat? Oder ist er auf natürliche Weise gestorben?«
Der Mann schien die Antwort sorgfältig zu überlegen. Julie Stratford wurde blaß, senkte den Blick und wandte sich ein wenig von den beiden Männern ab.
»Flüche sind Worte, mein Freund«, sagte der Mann. »Warnungen, um die Unwissenden und Furchtsamen zu vertreiben. Es ist Gift oder eine andere grobe Waffe erforderlich, um das Leben eines Menschen auf unnatürliche Weise zu beenden.«
»Gift!« flüsterte Samir.
»Samir, es ist sehr spät«, sagte Julie. Ihre Stimme klang rauh, gepreßt. »Wir sollten jetzt nicht darüber sprechen, sonst muß ich wieder weinen, und dann komme ich mir albern vor. Wir sollten nur darüber sprechen, wenn wir wirklich ins Detail gehen wollen.« Sie kam zu ihm und nahm seine beiden Hände.
»Ich möchte, daß Sie an einem anderen Abend wiederkommen, wenn wir uns alle gemeinsam zusammensetzen können.«
»Ja, Julie Stratford ist sehr müde. Julie Stratford war eine ausgezeichnete Lehrerin. Und ich wünsche Ihnen eine gute Nacht, mein Freund. Sie sind doch mein Freund, nicht wahr?
Möglicherweise haben wir beide einander viel zu erzählen.
Aber vorerst, glaube ich, sollte ich Julie Stratford vor allem und jedem beschützen, der ihr etwas zuleide tun könnte.«
Samir ging langsam zur Tür.
»Wenn Sie mich brauchen«, sagte er und drehte sich um,
»müssen Sie nach mir schicken lassen.« Er griff in seine Manteltasche, holte seine Karte heraus und betrachtete sie einen Moment lang fassungslos. Dann gab er sie dem Mann. Als der Mann sie nahm, sah er den Ring im Licht funkeln.
»Ich bin jeden Abend bis spät in meinem Büro im Britischen
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