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Die Mumie

Die Mumie

Titel: Die Mumie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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geweckt hatten, von diesem Ding geträumt, dieser Mumie.
    Von kaltem Grausen erfüllt hatte er nach seiner Pistole gefaßt, hatte sie gespannt und in die Tasche gesteckt, dann war er zur Tür gegangen. Wenn sie ihn jetzt durchsuchten…
    »Jeder hat Tommy Sharples gekannt!« sagte er und verbarg seine Angst hinter Wut. »Alle haben ihm Geld geschuldet.
    Deswegen wecken Sie mich vor Morgengrauen?«
    Er blinzelte den, der Galton hieß und gerade die Kleopatra-Münze hochhielt, albern an. Wie hatte er nur so dumm sein können! Wegzugehen und die Münze in Sharples’ Tasche zu lassen. Aber bei allen Heiligen, er hatte nicht die Absicht gehabt, Sharples abzustechen! Wie konnten sie davon ausgehen, daß er an so etwas auch nur gedacht hatte?
    »Haben Sie die schon mal gesehen, Sir?«
    Ruhig. Sie können keine Beweise haben. Spiel den Gekränkten, das wird dich schützen, wie immer.
    »Gewiß, sie stammt aus der Sammlung meines Onkels. Der Ramses-Sammlung. Wie haben Sie die bekommen? Sie müß-
    te unter Verschluß sein.«
    »Die Frage ist«, sagte derjenige, der Trent hieß, »wie hat Mr.
    Sharples sie bekommen? Und warum hat er sie bei sich gehabt, als er getötet wurde?«
    Henry strich sich mit einer Hand durchs Haar. Wenn nur die Schmerzen aufhören würden. Wenn er sich nur einen Moment entschuldigen, einen kräftigen Schluck trinken und ein Weilchen nachdenken könnte.
    »Reginald Ramsey!« sagte er und sah Trent in die Augen. »So heißt der Bursche doch, oder? Der Ägyptologe! Der bei meiner Cousine wohnt. Großer Gott, was geht in diesem Haus vor!«
    »Mr. Ramsey?«
    »Sie haben ihn doch verhört, oder etwa nicht? Woher kommt dieser Mann?« Sein Gesicht lief dunkel an, während die beiden Männer ihn stumm ansahen. »Muß ich Ihre Arbeit für Sie machen? Woher, zum Teufel, kommt dieser Kerl? Und was macht er mit den kostbaren Schätzen im Haus meiner Cousine?«

    Eine Stunde lang ging Ramses spazieren. Der Morgen war kalt und trüb. Die eindrucksvollen Häuser von Mayfair machten allmählich den armseligen Behausungen der Armen Platz. Er ging durch schmale, ungepflasterte Straßen, die den Gassen einer alten Stadt glichen – Jericho oder Rom. Hier waren die Spuren der Pferdekarren zu sehen, und es roch nach feuchtem Dung.
    Ab und zu sah ein armer Passant ihn an. Er hätte besser nicht in diesem Morgenmantel aus Satin Spazierengehen sollen.
    Aber das spielte keine Rolle. Er war wieder Ramses der Wanderer. Ramses der Verdammte, der nun im zwanzigsten Jahrhundert lebte. Das Elixier war immer noch wirksam. Und die Wissenschaftler dieses Jahrhunderts wollten sich ebenso wenig darauf einlassen wie die Wissenschaftler vergangener Jahrhunderte.
    Man mußte nur dieses Elend betrachten, die Bettler, die am Rande der Straße schliefen. Den Gestank dieses Hauses einatmen, der aus der Tür drang.

    Ein Bettler kam auf ihn zu. »Einen Sixpence, Sir, ich habe seit zwei Tagen nichts gegessen. Bitte, Sir.«
    Ramses ging an ihm vorbei. Seine Pantoffel waren naß und schmutzig, weil er in so viele Pfützen getreten war.
    Und jetzt kommt eine junge Frau, sieh sie dir an. Hör dir den rasselnden Husten an.
    »Möchten Sie ein bißchen Spaß haben, Sir? Ich habe ein hübsches warmes Zimmer, Sir.«
    O ja, er wollte ihre Dienste so sehr, daß er auf der Stelle spür-te, wie sein Glied steif wurde. Und das Fieber machte sie um so anziehender. Sie streckte ihren kleinen Busen anmutig vor, während sie sich trotz ihrer Schmerzen zu einem Lächeln zwang.
    »Nicht jetzt, meine Schöne«, flüsterte er.
    Es schien, als hätte ihn die Straße, so es denn überhaupt eine Straße war, in ein großes Ruinental geführt. Ausgebrannte Gebäude rochen nach Rauch, die Fenster hatten weder Rahmen noch Scheiben.
    Doch selbst hier hausten die Armen in Alkoven und Torbögen.
    Er hörte das jämmerliche Schreien eines Babys.
    Er ging weiter. Er hörte, wie die Stadt um ihn herum erwachte.
    Nicht die menschlichen Stimmen hörte er, die hatte er die ganze Zeit gehört. Es waren die Maschinen, die jetzt erwach-ten, während der dunkelgraue Himmel sich aufhellte und fast silbern wurde. Von irgendwoher drang das tiefe Pfeifen eines Zuges an sein Ohr. Er blieb stehen. Er konnte die dumpfe Vibration des großen eisernen Monsters selbst durch den feuchten Erdboden spüren. Welch einen einlullenden Rhythmus die Räder hatten, wenn sie auf den Stahlschienen rollten. Plötzlich versetzte ihn ein schriller Laut in Panik. Er drehte sich um und sah ein Automobil auf

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