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Die Mumie

Die Mumie

Titel: Die Mumie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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zerbrechliches Ding. Eben noch so voller Leben, und jetzt nicht mehr als Ab-fall, auch wenn der weiße Flaum auf der warmen, schmalen Brust noch bebte.
    Wie der kalte Wind ihm weh tat. Wie der Anblick des toten Vogels ihn tief im Herzen schmerzte.
    Er hielt ihn in der rechten Hand und zog mit der linken die halbvolle Phiole heraus. Er machte den Deckel mit dem Daumen auf und tröpfelte einen Tropfen nach dem anderen in den offenen Schnabel.
    Keine Sekunde verging, da regte sich das Tier auch schon.
    Die winzigen runden Augen wurden aufgeschlagen. Der Vogel versuchte sich zu drehen und schlug heftig mit den Flügeln.
    Ramses ließ ihn los. Er flog davon und strebte kreisend dem verhangenen Himmel zu.
    Er sah ihm nach, bis er nicht mehr zu sehen war. Unsterblich.
    Er sollte niemals aufhören zu fliegen.
    Dann kam wieder eine Erinnerung, lautlos und geschwind wie ein Attentäter. Das Mausoleum. Die Marmorsäle, die Säulen, die schlanke Gestalt von Kleopatra, die neben ihm herlief, während er sich vom Leichnam von Markus Antonius entfernte, der auf der vergoldeten Ottomane lag.
    »Du kannst ihn zurückholen!« schrie sie. »Das weißt du auch!
    Es ist nicht zu spät, Ramses! Gib es uns beiden, Markus Antonius und mir! Ramses, wende dich nicht von mir ab.« Ihre langen Fingernägel hatten seinen Arm zerkratzt.
    Er hatte sich wütend umgedreht und sie geschlagen, so daß sie stürzte. Verblüfft hatte sie ihn angesehen und war dann in Schluchzen ausgebrochen. Wie zierlich sie gewesen war, fast hager, mit dunklen Ringen unter den Augen.
    Der Vogel war über den Dächern von London verschwunden.
    Die Sonne wurde heller, ein grelles weißes Licht hinter den ziehenden Wolken.
    Sein Blick verschwamm. Sein Herz schlug heftig in der Brust.
    Er weinte, weinte hilflos. Ihr Götter, wie konnte er nur gedacht haben, die Schmerzen würden ausbleiben?
    Nach Jahrhunderten war er in einer wohligen Taubheit erwacht. Jetzt begann die Taubheit zu weichen, und bald schon würde er sowohl Liebe wie Trauer in ihrer ganzen Intensität spüren. Dies war nur der erste Vorgeschmack der Qualen.
    Worin lag nun der Segen, daß er wieder mit Herz und Seele am Leben war?
    Er betrachtete die Phiole in seiner Hand. Er war versucht, sie zu zerschmettern und den Inhalt auf diese faulige, verdreckte Straße fließen zu lassen. Und die anderen Phiolen konnte er weit weg bringen, dahin, wo das Gras bestimmt hoch wuchs und nur die wilden Blumen Zeugen waren. Dort konnte er die gesamte Flüssigkeit auf ein Feld schütten.
    Aber waren das nicht Hirngespinste? Er wußte, wie man es herstellte. Er hatte sich die Worte auf der Tafel eingeprägt. Er konnte nicht vergessen, was für alle Zeit im Geiste eingraviert war.

Samir stieg aus der Droschke aus und ging die restlichen fünfzig Meter zu seinem Ziel zu Fuß, die Hände tief in den Taschen und den Kragen gegen den heulenden Wind hochgestellt. Als er das Haus an der Ecke erreichte, ging er die Steinstufen hinauf und klopfte an die Tür.
    Eine ganz in schwarze Wollsachen gekleidete Frau machte die Tür einen Spalt weit auf. Sie ließ ihn ein. Leise betrat er ein mit Möbeln und anderem vollgestelltes Zimmer, in dem zwei Ägypter saßen, die die Morgenzeitung lasen und rauchten. Auf Regalen und Tischchen standen allerlei ägyptische Gegenstände. Auf einer Seite des großen Tischs lagen eine Papyrusrolle und eine Leselupe.
    Samir betrachtete die Papyrusrolle. Nichts Wichtiges. Er warf einen Blick auf die lange, gelbliche Mumie, deren Bandagen noch einigermaßen gut erhalten waren und die achtlos, wie es schien, auf einem Regalfach in der Nähe lag.
    »Ah, Samir, mach dir keine Sorgen«, sagte der größere der beiden Männer namens Abdel. »Sind nur Fälschungen auf dem Markt. Zakis Arbeiten, wie du selbst weißt. Abgesehen von diesem Burschen…« Der Mann deutete auf die Mumie.
    »Der ist echt, lohnt aber deine kostbare Zeit nicht.«
    Dennoch betrachtete Samir die Mumie jetzt genauer.
    »Der Rest aus einer Privatsammlung«, sagte Abdel. »Nicht in deiner Klasse.«
    Samir nickte und wandte sich wieder Abdel zu.
    »Ich habe aber gehört, daß einige seltene Münzen mit dem Bildnis der Kleopatra aufgetaucht sind«, sagte Abdel. »Wenn ich so eine in die Finger bekommen könnte.«

    »Ich brauche einen Paß, Abdel«, sagte Samir. »Reisedoku-mente. Und ich brauche sie schnell.«
    Abdel antwortete nicht gleich. Er beobachtete interessiert, wie Samir in die Tasche griff.
    »Und Geld, Geld brauche ich auch.«
    Samir

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