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Die Mumie

Die Mumie

Titel: Die Mumie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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die Geschichte teilweise übersetzt. Und sein Tagebuch lag irgendwo herum – Ramses hatte es nicht finden können -, und jeder konnte es lesen. Und dann waren da selbstverständlich die Schriftrollen.
    Wie auch immer, diese Situation konnte nicht ewig andauern.
    Er mußte das Elixier bei sich tragen. Selbstverständlich bestand auch die Möglichkeit, daß es seine Wirkung verloren hatte. Immerhin befand sich das Pulver seit zweitausend Jahren in dem Gefäß.
    In dieser Zeit hätte sich Wein in Essig oder gar in eine völlig ungenießbare Flüssigkeit verwandelt. Und Mehl hätte sich in eine Substanz verwandelt, die ebenso wenig genießbar war wie Sand.
    Als er jetzt das ganze grobkörnige Granulat in den Metalltiegel des Brenners schüttete, zitterten seine Hände. Er klopfte gegen das Gefäß, damit auch kein Körnchen übrigblieb. Dann verrührte er es behutsam mit dem Finger und fügte etwas Wasser aus dem Glas hinzu.
    Dann zündete er die Kerze wieder an. Während die Flüssigkeit kochte, holte er die Glasphiolen und legte sie nebeneinander –
    die, die auf dem Tisch gelegen hatten, und zwei, die in einem Ebenholzkästchen geblieben oder übersehen worden waren.

    Vier große Phiolen mit silbernen Deckeln.
    Innerhalb von Sekunden hatte die Verwandlung stattgefunden.
    Die einzelnen Bestandteile, die schon einzeln äußerst wirksam waren, hatten sich in eine blubbernde Flüssigkeit verwandelt, die von einem schwachen phosphoreszierenden Leuchten erfüllt war. Wie geheimnisvoll sie aussah, als würde sie jedem, der davon trank, die Haut vom Mund ätzen! Aber das stimmte nicht. Auch damals war nichts passiert, als er den Inhalt der vollen Tasse ohne zu zögern getrunken hatte und bereit gewesen war, für die Unsterblichkeit zu leiden! Er hatte überhaupt keine Schmerzen verspürt. Er lächelte. Überhaupt keine Schmerzen. Er hob den Tiegel vorsichtig hoch und goß die dampfende Flüssigkeit in eine Phiole nach der anderen, bis alle vier Glasbehälter voll waren. Dann wartete er, bis der Tiegel abgekühlt war und leckte ihn sauber, denn das war die einzige sichere Möglichkeit. Dann verschloß er die Phiolen.
    Dann nahm er die Kerze und ließ Wachs auf die Deckel tropfen, bis alle, außer einem, dicht versiegelt waren.
    Drei Phiolen verstaute er in der Tasche des Morgenmantels.
    Die vierte, die er nicht versiegelt hatte, trug er mit sich in den Wintergarten. Dort blieb er in der Dunkelheit stehen und betrachtete die Farne und Ranken, die scheinbar den ganzen Raum einnahmen.
    Die Glaswände verloren ihre milchige Trübe. Er konnte sein eigenes Spiegelbild noch deutlich sehen, eine hochgewachsene Gestalt in weinrotem Morgenmantel, ein gemütliches Zimmer dahinter – aber auch die fahlen Gegenstände draußen wurden langsam sichtbar.
    Er ging auf das nächste Farn zu, ein Ding mit großen dunkelgrünen Blättern. Er goß ein wenig von dem Elixier auf die feuchte Erde in den Topf. Dann wandte er sich der Bougainvillea zu, die nur wenige dunkelrote Blüten zwischen dunklem Laub aufwies. Er schüttete auch in diesen Topf etliche Tropfen des Elixiers.
    Er vernahm ein leises Geräusch, einen knirschenden Laut.
    Mehr zu benützen wäre Wahnsinn. Doch er ging von Topf zu Topf und gab in jeden ein paar Tropfen des Elixiers. Schließ-
    lich war die Phiole nur noch halb voll. Und er hatte genügend Schaden angerichtet, oder nicht? Wenn der Zauber nicht mehr funktionierte, würde er es binnen weniger Augenblicke wissen.
    Er sah zur Glasdecke hoch. Der erste Schein der Sonne war zu sehen. Der Gott Ra sandte seine ersten warmen Strahlen.
    Die Wedel der Farne raschelten, wurden länger, die ersten zarten Triebe zeigten sich. Die Bougainvillea bebte und wurde an ihrem Rankgitter buschiger, winzige Luftwurzeln klammer-ten sich um das schmiedeeiserne Gitter, kleine Blüten öffneten sich plötzlich so blutrot wie Wunden. Im ganzen Wintergarten wuchsen und gediehen die Pflanzen. Ein tiefes Schaudern durchfuhr ihn.
    Wie hatte er bloß glauben können, daß das Elixier seine Wirkung verloren hatte? Es war so stark wie eh und je. Ein kräftiger Schluck hatte ihn für alle Zeiten unsterblich gemacht.
    Warum glaubte er, die einmal geschaffene Substanz könnte weniger unsterblich sein als er?
    Er steckte die Phiole in die Tasche. Er entriegelte die Hintertür des Hauses und ging in die trübe Dämmerung hinaus.

    Henrys Kopfschmerzen waren so schlimm, daß er die beiden Polizisten nicht einmal deutlich sehen konnte. Er hatte, als sie ihn

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