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Die Mumie

Die Mumie

Titel: Die Mumie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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müssen Sie zugeben, daß er ein ausgesprochen unbescheidener Herrscher war. Die Bildsäulen, die von seinen Ruhmestaten prahlen, sind lächerlich.«
    »Sir, bitte«, sagte Samir.
    »Das sind sie ganz und gar nicht«, sagte Ramses. »Sie ent-sprachen dem Stil der Zeit, und das Volk wollte es so. Begreifen Sie nicht? Der Herrscher war das Volk. Wenn das Volk groß sein wollte, mußte der Herrscher groß sein! Wenn es um die Wünsche, die Bedürfnisse und das Wohlergehen des Volkes ging, war der Herrscher sein Sklave.«
    »Ach, Sie wollen uns doch hoffentlich nicht einreden, daß der alte Bursche ein Märtyrer war!« spottete Alex. Niemals hatte Julie ihn so aggressiv gesehen.
    »Vielleicht hat ein moderner Mensch Schwierigkeiten, die Denkweise eines Menschen aus früherer Zeit nachzuvollzie-hen«, wandte Elliott ein. »Ich frage mich, ob es nicht umge-kehrt genauso ist. Ob nicht ein Mann aus alter Zeit ebenfalls Schwierigkeiten hätte, unsere Wertvorstellungen zu begreifen?«
    »So schwer ist das gar nicht«, sagte Ramses. »Die Menschen haben gelernt, sich auszudrücken, so daß nichts verschleiert oder geheimnisvoll bleibt. In Ihren Zeitungen und Büchern steht alles. Und dennoch unterscheiden Sie sich nicht wirklich von Ihren ältesten Vorfahren. Sie suchen Liebe, Sie suchen Trost, Sie suchen Gerechtigkeit. Das wollte auch der ägyptische Bauer, wenn er hinauszog, um sein Feld zu bestellen.
    Und die Arbeiter von London wollen nichts anderes. Und wie immer hüten die Reichen ihren Besitz. Und Habgier führt zu Verbrechen, wie zu allen Zeiten.«
    Bei diesen Worten richtete er den Blick auf Henry, der ihn mittlerweile ebenfalls ansah. Julie blickte verzweifelt zu Samir.
    »Mann, Sie sprechen von unserer Zeit, als hätten Sie nichts damit zu tun!« sagte Alex.
    »Sie wollen also sagen«, meinte Elliott, »daß wir nicht besser und nicht schlechter sind als die alten Ägypter.«
    Henry griff nach seinem Drink und stieß ihn plötzlich um. Dann griff er nach dem Wein und stürzte ihn hinunter. Sein weißes Gesicht war jetzt feucht. Seine Unterlippe zitterte. Er sah zweifellos wie ein Mann aus, der ernsthaft krank war.

    »Nein, das habe ich nicht gesagt«, antwortete Ramses nachdenklich. »Sie sind besser. In tausenderlei Hinsicht besser.
    Und doch sind Sie immer noch Menschen. Sie haben noch nicht alle Antworten gefunden. Elektrizität, Telefone, das alles ist wunderbare Magie. Aber die Armen müssen Hunger leiden.
    Männer töten für das, was sie durch eigene Arbeit nicht erreichen können. Es geht nach wie vor darum, wie man die Magie, den Reichtum und die Geheimnisse gerecht verteilt.«
    »Aha, da haben wir’s ja. Marxismus, ich habe es ja gesagt«, trumpfte Alex auf. »Nun, in Oxford haben sie uns beigebracht, daß Ramses der Zweite ein verdammter Tyrann war.«
    »Sei still, Alex«, sagte Elliott nachdrücklich. Er wandte sich an Ramses. »Warum beschäftigen Sie sich mit Habgier und Macht?«
    »Oxford? Was ist Oxford?« fragte Ramses und sah zu Alex.
    Dann sah er wieder Henry an. Henry schob unvermittelt den Stuhl zurück. Er hielt sich am Tisch fest, um nicht zu stürzen.
    Mittlerweile hatten die Kellner die Teller abgeräumt und Brat-huhn mit Kartoffeln serviert. Irgend jemand schenkte Henry noch einen Drink ein, den dieser sofort hinunterkippte.
    »Dir wird schlecht werden«, fauchte Elliott ihn an.
    »Nein, was ist es?« fragte Ramses.
    »Oxford, Egomanie, Aspirin, Marxismus«, sagte Elliott. »Sie stecken mit dem Kopf in den Wolken, Mr. Ramsey.«
    »Ja, wie eine riesige Statue!« Ramses lächelte.
    »Aber Sie sind trotzdem ein Marxist«, sagte Alex.
    »Alex, Mr. Ramsey ist kein Marxist!« sagte Julie, die ihre Wut jetzt nicht mehr verbergen konnte. »Und soweit ich mich erinnern kann, war dein Lieblingsfach in Oxford Sport, oder nicht?
    Ruderboot und Football? Du hast nie Marxismus oder ägyptische Geschichte studiert, hab ich recht?«
    »Ja, Darling. Ich weiß nichts über das alte Ägypten«, gab er ein wenig betroffen zu. »Aber es gibt da ein Gedicht, Mr.
    Ramsey, dieses Gedicht über Ramses den Großen von Shel-ley. Sie haben davon gehört, oder nicht? Mal sehen, ein alter Lehrer hat mich einmal gezwungen, es auswendig zu lernen.«
    »Vielleicht sollten wir zu unserem ursprünglichen Thema zu-rückkehren, zur Reise«, sagte Samir. »Es wird sehr heiß in Luxor. Vielleicht wollen Sie nur bis…«
    »Ja, die Gründe für die Reise«, sagte Elliott. »Wollen Sie den Behauptungen nachgehen, die ›die

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