Die Mumie
Rutherford?« fragte Ramses.
»Sie haben die Aufzeichnungen Ihres Freundes Lawrence gelesen. Befindet sich tatsächlich ein unsterblicher Mann in dem Mumiensarg in Julies Haus in Mayfair?«
Elliott lächelte. »Nein«, sagte er.
Julie starrte auf ihren Teller. Dann schaute sie langsam auf zu Samir.
»Natürlich nicht!« sagte Alex. »Und es wird Zeit, daß es jemand ausspricht. Wenn sie ihn ins Museum bringen und auf-schnippeln, werden sie herausfinden, daß er ein Schreiberling war, der nichts als eine lebhafte Phantasie besaß.«
»Verzeiht mir«, sagte Julie, »aber ich habe das alles so satt.
Wir werden früh genug bei den Mumien und Denkmälern in Ägypten sein. Muß das so weitergehen?«
»Tut mir leid, Teuerste«, sagte Elliott, hob die Gabel und nahm ein winziges Stückchen Huhn. »Mir hat unsere Unterhaltung sehr gefallen, Mr. Ramsey. Ich finde Ihre Ansichten über das alte Ägypten absolut faszinierend.«
»Ja? In letzter Zeit fasziniert mich selbst die Gegenwart, Lord Rutherford. Engländer wie Sie interessieren mich. Und dazu kommt, daß Sie ein guter Freund von Lawrence waren, stimmt’s?« Julie bemerkte die Veränderung an Henry, bevor sie merkte, daß Ramses ihn wieder direkt ansah. Henry wandte sich um, hob das leere Glas mit der Hand, stellte fest, daß es leer war, sah es an, als wüßte er nicht, was er damit anfangen sollte, und starrte dann nur dümmlich den Kellner an, der es ihm wegnahm und ihm ein volles Glas hinstellte.
Falls Elliott das alles bemerkte, ließ er es sich nicht anmerken.
»Wir waren nicht immer einer Meinung, Lawrence und ich«, antwortete er, »aber wir waren sehr gute Freunde, ja. Und wir waren uns in einem einig. Wir haben beide gehofft, daß unsere Kinder bald glücklich verheiratet sein würden.«
Julie war fassungslos. »Elliott, bitte.«
»Aber darüber müssen wir beide uns nicht unterhalten«, fügte er hastig hinzu. Offenbar fiel es ihm schwer, unhöflich zu sein.
»Ich würde mich gerne über andere Dinge mit Ihnen unterhalten. Woher Sie kommen, wer Sie sind. Dieselben Fragen, die ich mir stelle, wenn…«
Obwohl Ramses lachte, war er wütend. Julie konnte es spü-
ren. »Wahrscheinlich werden Sie meine Antworten kurz und enttäuschend finden. Und was die Hochzeit mit Ihrem Sohn betrifft, so war Lawrence der Meinung, daß Julie selbst die Entscheidung treffen sollte. Mal sehen, wie hat er sich ausgedrückt?« Er richtete den Blick wieder auf Henry. »Die englische Sprache ist mir noch etwas fremd, aber mein Gedächtnis ist sehr gut. Ah, ja. ›Julies Hochzeit kann warten.‹ Waren das nicht seine Worte, lieber Henry?«
Henry bewegte stumm den Mund, brachte aber nur ein Stöhnen über die Lippen. Alex wurde rot. Er war verletzt und sah Ramses an. Julie mußte etwas tun, um die Situation zu entschärfen, aber was?
»Nun, Sie scheinen wahrhaftig ein enger Freund von Julies Vater gewesen zu sein«, sagte Alex fast traurig. »Vielleicht enger, als wir gedacht haben. Hat Ihnen Lawrence sonst noch etwas gesagt, bevor er gestorben ist?«
Armer, armer Alex! Aber das alles galt Henry. Noch einen Augenblick, und die Situation würde explodieren.
»Ja«, sagte Ramses. Julie ergriff seine Hand und drückte sie, doch er nahm es nicht zur Kenntnis. »Ja, daß er der Meinung war, sein Neffe wäre ein verkommenes Subjekt.« Er sah Henry wieder böse an. »Habe ich recht? ›Du Dreckskerl.‹ Waren das nicht seine letzten Worte?«
Henry stand vom Stuhl auf und stieß ihn dabei um. Er sprang zurück, als der Stuhl mit einem Poltern auf den Teppich fiel. Er sah Ramses mit offenem Mund an und gab ein leises Ge-räusch von sich, halb Stöhnen, halb Knurren.
»Großer Gott«, sagte Alex. »Mr. Ramsey, Sie gehen zu weit.«
»Wirklich?« sagte Ramses, der Henry nicht aus den Augen ließ.
»Henry, alter Junge, du bist betrunken«, sagte Alex. »Ich helfe dir in deine Kabine.«
»Bitte nicht«, flüsterte Julie. Elliott beobachtete sie beide. Er hatte Henry, der gerade kehrtmachte und zur Tür stolperte, keines Blickes gewürdigt.
Alex sah auf seinen Teller, sein Gesicht wurde immer röter.
»Mr. Ramsey, ich glaube, Sie müssen etwas wissen«, sagte Alex.
»Und das wäre, junger Mann?«
»Julies Vater nahm bei allen, die er gern hatte, kein Blatt vor den Mund.« Dann dämmerte es ihm. »Aber… Sie waren nicht dabei, als er gestorben ist, oder? Ich dachte, Henry wäre allein mit ihm in dem Grab gewesen.«
Elliott sagte nichts.
»Herrje, das wird eine ziemlich
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