Die Mumie
Dunkeln, während es die Pistole studierte, die es ins graue Licht des Bullauges in der Tür hielt. Dann steckte es die Waffe ein, machte auf dem Absatz kehrt und ließ ihn stehen.
Eine Woge der Übelkeit stieg in ihm auf. Dunkelheit umfing ihn.
Als er erwachte, kauerte er in der Ecke des Korridors. Es schien, als wäre niemand vorbeigekommen. Zitternd und benommen richtete er sich auf und begab sich in seine Kabine. Dort stand er über der kleinen Toilette und erbrach alles, was er im Magen hatte. Erst dann zog er die besudelte Kleidung aus.
Sie weinte, als er eintrat. Sie hatte Rita mit den anderen Die-nern zum Abendessen geschickt. Er klopfte nicht einmal. Er machte die Tür auf und kam herein. Sie sah ihn nicht an. Sie drückte das Taschentuch auf die Augen, konnte aber nicht aufhören zu weinen.
»Es tut mir leid, meine Königin. Meine sanfte Königin. Bitte glaub mir.«
Als sie aufsah, sah sie die Traurigkeit in seinem Gesicht. Hilflos stand er vor ihr, und das Licht der Lampe hinter ihm tauchte seine Haarspitzen in ein ungleichmäßiges goldenes Licht.
»Laß es gut sein, Ramses«, sagte sie verzweifelt. »Ich kann es nicht ertragen, das Wissen, daß er es getan hat. Laß es gut sein, ich flehe dich an. Ich möchte nur, daß wir in Ägypten zusammen sind.«
Er nahm auf der Sitzbank neben ihr Platz. Er drehte sie zärtlich zu sich um, und als er sie küßte, war ihr, als schmelze sie dahin. Ein Zauber umfing sie und seine Glut sprang auf sie über. Sie küßte sein Gesicht, seine Wangen, dort wo sich die Haut straff über den Knochen spannte, und dann seine Lider.
Sie spürte, wie sich seine Hände um ihre nackten Schultern legten und merkte, daß er ihr Ballkleid über die Brüste hinun-terschieben wollte.
Beschämt wich sie zurück. Sie hatte ihn ganz ungewollt dazu aufgefordert.
»Ich will es nicht«, sagte sie. Die Tränen flossen erneut. Sie sah ihn nicht an, als sie die Ärmel des Kleides wieder nach oben schob. Als sich ihre Blicke schließlich begegneten, sah sie nur Geduld und dieses seltsame Lächeln, in dem sich dieselbe Traurigkeit zeigte wie zu Anfang.
Als er die Hände nach ihr ausstreckte, erstarrte sie. Aber er rückte lediglich die Ärmel des Kleides für sie zurecht. Und richtete die Perlen um ihren Hals. Dann küßte er ihre Hände.
»Komm hinaus mit mir«, sagte er mit leiser, sanfter Stimme und küßte sie zärtlich auf die Schulter. »Der Wind ist kühl und frisch. Und in den Sälen spielen sie Musik. Laß uns zu der Musik tanzen. Dieser schwimmende Palast. Er ist ein Para-dies. Komm mit mir, meine Königin.«
»Aber Alex«, sagte sie, »wenn nun Alex…«
Er küßte ihren Hals. Er küßte erneut ihre Hand. Er drehte ihre Hand herum und drückte die Lippen auf die Innenfläche. Wieder wurde ihr ganz heiß. Es wäre Narretei gewesen, in diesem Zimmer zu bleiben, es sei denn... Aber nein. Sie durfte es nicht zulassen, bis sie es wirklich von ganzer Seele wollte.
Aber sie wußte, daß sie ihre Seele verlieren konnte. Der Gedanke war schrecklich. Wieder hatte sie das unbestimmte Ge-fühl, als würde ihre Welt zerstört.
»Dann laß uns gehen«, sagte sie schläfrig.
Er half ihr auf die Füße. Er nahm ihr das Taschentuch ab und wischte ihre Tränen weg, als wäre sie ein Kind. Dann nahm er den weißen Pelz von der Stuhllehne und zog ihn ihr über die Schultern.
Gemeinsam gingen sie über das windige Deck und durch den Korridor zum großen Ballsaal – eine faszinierende Mischung aus vergoldetem Holz und satinbespannten Wänden, überhängenden Palmen und Buntglasfenstern.
Er stöhnte, als er das ferne Orchester sah. »Oooh, Julie, die Musik«, flüsterte er. »Sie macht mich zum Sklaven.«
Wieder spielte das Orchester einen Walzer von Strauß. Die Musik klang lauter und voller und schien den ganzen großen Saal auszufüllen.
Gott sei Dank keine Spur von Alex. Sie drehte sich zu ihm um und ließ sich von ihm an der Hand nehmen.
Als er den Walzer mit ihr mit einer ausholenden Drehung begann und sie anstrahlte, da schien ihr alles andere nicht mehr wichtig. Es gab keinen Alex, keinen Henry, ihr Vater war keines schrecklichen Todes gestorben, der gerächt werden muß-
te.
Es existierte nur dieser Augenblick mit ihm im weichen Schein der Lüster. Die anderen Tänzer schienen gefährlich nahe bei ihnen zu sein, aber Ramses’ Schritte waren bei aller Größe und Beschwingtheit perfekt.
War es nicht genug, daß er ein Geheimnis war, dachte sie verzweifelt. War es nicht
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