Die Muschelsucher
nach. »Ich würde am liebsten hier bleiben. Ich habe mich noch nie so wohl gefühlt wie hier. Und jetzt, wo Bertie nicht mehr da ist.« Ihre Augen füllten sich wieder mit Tränen. »Nicht weinen, Doris. Die Jungen dürfen Sie nicht weinen sehen. Sie müssen Ihnen zeigen, daß man tapfer sein muß. Ihnen sagen, daß sie stolz auf ihren Vater sein müssen, der für eine so große Sache gestorben ist, für all die armen Menschen in Europa. Sie zu guten Menschen machen, wie er es war.«
»So gut war er nun auch wieder nicht. Er hat mich manchmal verdammt in Rage gebracht.« Die Tränen versiegten, ehe sie wieder geflossen waren, und ein ganz schwaches Lächeln trat in ihr Gesicht. »Wenn er betrunken vom Fußball nach Haus kam und mit Schuhen und allem ins Bett plumpste.«
»Vergessen Sie diese Dinge nicht«, sagte Sophie eindringlich. »Sie alle haben den Menschen ausgemacht, der er war. Es ist gut, nicht nur die schönen Zeiten im Gedächtnis zu behalten, sondern auch die schlechten. Das Leben besteht nämlich aus beiden.« Und so blieb Doris. Und als Penelopes Baby zur Welt gekommen war, konnte sie es nicht abwarten, das kleine Ding zu sehen. Ein Mädchen. Doris hatte sich immer eine Tochter gewünscht, und nun, wo Bert tot war, sah es nicht so aus, als würde sie je eine bekommen. Aber dieses Baby. Sie war die einzige, die vom ersten Augenblick an in die Kleine vernarrt war.
»Oooh, sie ist so wunderschön.«
»Findest du?«
»Penelope, sie ist wunderschön. Darf ich sie auf den Arm nehmen?«
»Natürlich.«
Doris beugte sich nach unten, nahm das Baby in ihre starken und geübten Arme und betrachtete sie mit einem Ausdruck mütterlicher Liebe, der Penelope beschämt machte, weil sie wußte, daß sie nicht imstande war, eine so grenzenlose und offensichtliche Hingabe zu zeigen.
»Keiner von uns weiß, wem sie ähnlich sieht.« Aber Doris wußte es. Doris wußte ohne den Schatten eines Zweifels, wem sie ähnelte. »Sie sieht genauso aus wie Betty Grable.« Und sobald Penelope mit ihrem Kind nach Cam Cottage zurückgekehrt war, nahm Doris sich der kleinen Nancy an, und Penelope ließ sie gern gewähren und beruhigte ihr schlechtes Gewissen mit dem Argument, sie tue Doris damit einen Gefallen und mache sie glücklich. Es war Doris, die Nancy badete und ihre Windeln wusch und ihr, als Penelope keine Lust mehr hatte, sie zu stillen, die Flasche machte und sie auf einem niedrigen Stuhl in der warmen Küche oder im Wohnzimmer am Kamin fütterte. Ronald und Clark beteten sie ebenfalls an und brachten ihre Schulfreunde mit, um den Neuankömmling zu bewundern. Der Winter ging dahin, und Nancy gedieh, bekam richtiges Haar und Zähne und wurde immer dicker. Sophie holte Penelopes alten hochrädrigen, mit Lederriemen gefederten Kinderwagen aus dem Geräteschuppen, Doris putzte und wienerte ihn und schob ihn stolz die Hügel von Porthkerris hinauf und hinunter und blieb zwischendurch oft stehen, um Nancy allen Vorbeikommenden zu zeigen, die sich für sie interessierten, und vielen, die es nicht taten.
Nancy blieb ein friedfertiges und folgsames Kind. Sie lag im Garten in ihrer Wiege und schlief oder schaute stillzufrieden zu den Wolken hoch, die über den Himmel zogen, oder beobachtete die zarten Zweige des Kirschbaums. Als der Frühling kam und die Blüten fielen, war ihre Decke mit weißen Blütenblättern besät. Bald lag sie auf einem Vorleger und tastete nach ihrer Kinderrassel. Dann konnte sie sitzen und schlug zwei Wäscheklammern aneinander.
Jenseits dieser winzigen häuslichen Welt tobte der Krieg inzwischen immer heftiger, und alle zitterten vor dem, was noch kommen mochte. Europa war besetzt, Lawrences geliebtes Frankreich überrannt, und es verging kein Tag, an dem er sich nicht um seine zweite Heimat sorgte und Angst um seine alten Freunde ausstand. Im Atlantik lauerten U-Boote und machten Jagd auf die langsamen Konvois von Handelsschiffen, die im Geleitschutz von Zerstörern fuhren. Die Englandschlacht war gewonnen, doch zu einem entsetzlichen Preis an Piloten, Flugzeugen und Flugplätzen, und die Armee, die nach Frankreich und Dünkirchen neu organisiert worden war, bezog in Erwartung des nächsten Ansturms der deutschen Kriegsmaschinerie Stellungen in Gibraltar und Alexandria.
Die Bombardierungen hatten begonnen. Die endlosen Luftangriffe auf London. Nacht für Nacht heulten die Sirenen, und Nacht für Nacht flogen Heinkel-Geschwader todbringenden Ungeheuern gleich von Frankreich über den Kanal, um
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