Die Muschelsucher
hielt sie wie eine Girlande zwischen den Händen. Sie sagte: »Laden Sie Papa und mich ein, oder nur mich?«
»Nur Sie. Aber wenn er mitkommen möchte.«
»Sicher nicht. Er ist nicht gern spät unterwegs.«
»Möchten Sie?«
»Ja.«
»Wohin sollen wir gehen?«
»Ich weiß nicht.«
»Das Sands Hotel sieht nicht übel aus.«
»Es ist seit Anfang des Krieges requiriert. Es ist jetzt voll von Verwundeten auf Erholungsurlaub.«
»Oder die Burg?« Die Burg. Schon beim Gedanken an die Burg sanken ihre Lebensgeister. Bei Ambroses erstem mißglücktem Besuch in Cam Cottage hatte sie hin und her überlegt, was sie ihm bloß bieten könnte, um ihn zu zerstreuen, und in ihrer Verzweiflung vorgeschlagen, am Sonnabend zum Castle Hotel zu fahren und dort nach dem Dinner zu tanzen. Der Abend war nicht erfolgreicher gewesen als das restliche Wochenende. Der kalte und ungemütliche Speisesaal war halb leer, das Essen fade, die anderen Gäste betagt. Ab und zu hatte eine langweilige Band ein Potpourri uralter Songs gespielt, aber sie hatten nicht mal tanzen können, weil sie inzwischen so unförmig gewesen war, daß Ambrose sie nicht mehr in den Armen halten konnte.
Sie sagte schnell: »Nein, nicht dahin. Die Kellner sind alt wie Schildkröten, und die meisten Gäste sitzen im Rollstuhl. Es ist schrecklich deprimierend.« Sie überlegte, und dann fiel ihr eine vielversprechende Lösung ein. »Wir könnten zu Gastons Bistro gehen.«
»Wo ist das?«
»Genau oberhalb vom Nordstrand. Es ist winzig klein, aber das Essen ist nicht schlecht. An Geburtstagen und anderen wichtigen Tagen lädt Papa Doris und mich manchmal dorthin ein.«
» Gastons Bistro. Das klingt absolut überraschend. Steht es im Telefonbuch?«
»Ja.«
»Ich rufe gleich morgen an und bestelle einen Tisch für uns.«
»Doris, er hat mich zum Essen eingeladen!«
»Sag bloß! Wann?«
»Montag. Nach der Party bei den Watson-Grants.«
»Und? Hast du angenommen?«
»Ja. Warum? Findest du, ich hätte ablehnen sollen?«
»Ablehnen? Dann wärst du nicht richtig im Kopf gewesen. Ich finde ihn fabelhaft. Ich weiß nicht, aber er erinnert mich irgendwie an Gregory Peck.«
»O Doris, er hat kein bißchen Ähnlichkeit mit Gregory Peck.«
»Nicht im Aussehen, aber er hat dieselbe ruhige Art. Irgendwie souverän. Du weißt, was ich meine. Was willst du anziehen?«
»Ich hab noch nicht darüber nachgedacht. Ich werde schon was finden.«
Doris richtete den Blick gen Himmel. »Weißt du, manchmal bringst du mich wirklich zum Wahnsinn. Geh runter in den Ort und kauf dir endlich mal etwas. Du gibst nie einen Penny für dich aus. Geh zu Madame Jolie und sieh nach, was sie hat.«
»Ich habe keine Textilmarken mehr. Ich hab meine letzten für diese schrecklichen Geschirrtücher und das warme Nachthemd für Nancy benutzt.«
»Um Himmels willen, du brauchst doch nur sieben Stück. Wir sechs werden doch noch sieben Textilmarken zusammenkratzen. Und wenn nicht, weiß ich, wo ich welche auf dem schwarzen Markt bekomme.«
»Das ist verboten.«
»Oh, ich pfeife drauf. Dies ist ein großer Anlaß. Deine erste Verabredung seit Jahren. Leb gefährlich. Montag morgen gehst du runter in den Ort und kaufst dir was Hübsches.«
Sie konnte sich nicht erinnern, wann sie zuletzt in einem Geschäft für Damenbekleidung gewesen war, doch weil Madame Jolie in Wahrheit Mrs. Coles war, die Frau des Küstenwachevorstehers, und so dick und freundlich wie eine Lieblingsgroßmutter, gab es keinen Grund, sich eingeschüchtert zu fühlen. »Oh, wer kommt denn da! Ich hab Sie seit Jahren nicht mehr hier drin gesehen«, bemerkte sie, als Penelope zur Tür hereinkam. »Ich brauche ein neues Kleid«, sagte Penelope, ohne Zeit für Belanglosigkeiten zu verschwenden.
»Ich habe leider überhaupt nichts Besonderes da, Kind, fast nur diese Kriegssachen. Kann nichts anderes mehr beschaffen. Aber ich hab ein hübsches rotes Kleid, das Ihnen bestimmt gut stehen wird. Rot ist doch schon immer Ihre Farbe gewesen. Es hat ein Gänseblümchenmuster. Es ist natürlich aus Rayon, aber es fühlt sich an wie Seide.«
Sie nahm es vom Ständer. In einer winzigen, durch einen Vorhang geschlossenen Umkleidekabine zog Penelope ihre Sachen aus und streifte sich das rote Kleid über den Kopf. Es fühlte sich wirklich sehr weich an, und es roch herrlich neu. Während sie den schäbigen kurzen Vorhang zur Seite schob und wieder in den Raum trat, knöpfte sie es zu und band den Lackledergürtel um. »Oh, es steht Ihnen
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