Die Muschelsucher
Beerdigung vorbereitet und organisiert hatte sie noch nie. Sie stellte fest, daß eine ganze Menge dazu gehörte. Und als sie in Podmore’s Thatch angekommen war, mußte sie als erstes mit Nancy fertig werden.
George Chamberlain hatte im Alten Pfarrhaus abgenommen, als sie aus London anrief, und sie war zum erstenmal zutiefst erleichtert gewesen, die grämliche Stimme ihres Schwagers zu hören. Sie berichtete ihm so sachlich und kurz wie möglich, was geschehen war, sagte, sie werde jetzt gleich nach Podmore’s Thatch fahren, verabschiedete sich und legte auf und überließ es ihm, Nancy die traurige Nachricht zu überbringen. Sie hatte zunächst gehofft, es würde damit sein Bewenden haben, doch als sie den Alfasud durch das Tor von Podmore’s Thatch lenkte, sah sie Nancys Wagen und wurde sich bewußt, daß sie nicht so leicht davonkommen würde. Als sie ausstieg, kam Nancy aus der offenen Tür gestürzt und lief mit ausgestreckten Armen auf sie zu. Ihr Gesicht war verweint, sie stierte Olivia aus ihren blauen Augen an. Ehe sie etwas dagegen tun konnte, hatte Nancy beide Arme um sie geschlungen, drückte ihre heiße Wange an ihre, die blaß und kühl war, und brach wieder in krampfhaftes Schluchzen aus.
»Oh, Olivia. Ich bin sofort hergekommen. Als George es mir erzählt hat, habe ich mich einfach ins Auto gesetzt und bin hergekommen. Ich mußte hier bei euch sein. Ich. ich mußte hier sein.« Olivia stand stocksteif da und ließ die lästige feuchte Umarmung lange genug über sich ergehen, um nicht unhöflich zu sein. Dann schob sie ihre Schwester sanft fort. »Das war sehr lieb von dir, Nancy. Aber es wäre nicht nötig gewesen.«
»Das hat George auch gesagt. Er sagte, ich würde nur im Weg sein.« Nancy langte in den Ärmel ihrer Strickjacke, zog ein durchnäßtes Taschentuch hervor, putzte sich geräuschvoll die Nase und faßte sich dann einigermaßen. »Aber ich konnte natürlich nicht einfach zu Haus bleiben. Ich mußte hier sein.« Sie schüttelte sich ein wenig und richtete sich zu ihrer ganzen Größe auf. Sie mußte zeigen, daß sie Schneid hatte. »Ich wußte, daß ich kommen mußte. Die Fahrt war ein Alptraum. Ich war vollkommen fertig, als ich hier war, aber Mrs. Plackett hat mir schnell eine Tasse Tee gemacht, und jetzt geht es schon wieder.«
Die Aussicht, Nancy in ihrem Kummer beistehen und ihr über die nächsten Stunden hinweghelfen zu müssen, war fast mehr, als Olivia ertragen konnte. »Du brauchst nicht zu bleiben«, sagte sie und suchte fieberhaft nach einem hieb- und stichfesten Argument, das Nancy bewegen würde, wieder heimzufahren. Sie hatte eine glückliche Eingebung. »Du mußte an deine Kinder und an George denken. Du darfst sie nicht vernachlässigen. Ich habe niemanden als mich selbst, und deshalb spricht alles dafür, daß ich vorerst hierbleibe.«
»Aber deine Arbeit?«
Olivia ging zu ihrem Auto zurück und holte ihre Reisetasche vom Rücksitz.
»Das ist alles geregelt. Ich muß erst Montag morgen wieder in die Redaktion. Los, gehen wir hinein. Wir trinken etwas zusammen, und dann kannst du nach Haus fahren. Du brauchst jetzt vielleicht keinen Gin-Tonic, aber ich habe dringend einen nötig.« Sie ging voran, und Nancy folgte ihr. Die Küche war peinlich sauber und aufgeräumt, freundlich und vertraut, aber schrecklich leer. »Was ist mit Noel?« fragte Nancy. »Was soll mit ihm sein?«
»Hast du es ihm gesagt?«
»Selbstverständlich. Gleich nachdem ich George angerufen habe. Ich habe ihn im Büro angerufen.«
»Hat es ihn mitgenommen?«
»Ja, ich glaube schon. Er hat kaum was gesagt.«
»Kommt er her?«
»Nein, im Augenblick nicht. Ich sagte ihm, daß ich wieder anrufen würde, falls ich ihn brauchen sollte.«
Nancy zog sich hastig, als ob sie keine zwei Sekunden länger stehen könnte, einen Stuhl heran und setzte sich. Sie war offensichtlich so überstürzt vom Alten Pfarrhaus aufgebrochen, daß sie keine Zeit mehr gehabt hatte, sich zu kämmen, ihre Nase zu pudern oder eine zum Rock passende Bluse anzuziehen.
Sie sah nicht nur verheult aus, sondern auch ausgesprochen schlampig, und Olivia empfand wieder einmal jene ungeduldige Gereiztheit. Was auch passierte, ob etwas Gutes oder Schlimmes, Nancy machte immer ein Drama daraus, und noch dazu eines, in dem sie die Hauptrolle spielen mußte.
»Sie ist gestern nach London gefahren«, sagte sie gerade. »Wir wissen nicht, warum. Sie ist einfach in den Zug gestiegen und erst abends zurückgekommen. Mrs. Plackett
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