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Die Muschelsucher

Die Muschelsucher

Titel: Die Muschelsucher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rosamunde Pilcher
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»Und wenn ich wieder zu Hause bin, werde ich ihnen sagen können, daß du noch nie so gut ausgesehen hast. Du hast so ein innerliches Strahlen. Du bist richtig. aufgeblüht.«
    »War es ein großer Schock für dich, daß ich Knall auf Fall gekündigt und alles aufgegeben habe und hier bei Cosmo geblieben bin? Du hast sicher gedacht, ich hätte den Verstand verloren.«
    »Ja, zuerst. Aber warum nicht? Du hast immer nur gearbeitet, und wenn ich gesehen habe, wie müde und abgespannt du aussahst, habe ich mir oft Sorgen um deine Gesundheit gemacht.«
    »Du hast es nie gesagt.«
    »Olivia, es ist dein Leben, und es geht mich nichts an, was du damit machst. Aber das heißt nicht, daß ich keinen Anteil nehme.«
    »Na ja, du hattest recht. Ich war richtiggehend krank. Ich meine, als ich mich entschlossen und alle Brücken hinter mir abgebrochen hatte, hatte ich einen Zusammenbruch. Ich habe drei Tage und Nächte hintereinander geschlafen. Cosmo hat sich rührend um mich gekümmert. Und danach fühlte ich mich wie neu geboren. Ich war mir nicht darüber klar gewesen, wie ausgebrannt ich war. Ich glaube, wenn ich es nicht gemacht hätte, hätte ich irgendwann eine Nervenkrise gehabt und wäre in einer Anstalt gelandet.«
    »Sag so was bitte nicht.«
    Während sie sich unterhielten, stand Penelope keinen Augenblick still, legte ihre Sachen in die Kommode und hängte die vertrauten und oft getragenen Kleider, die sie mitgebracht hatte, an die Pflöcke in der Wand. Es war typisch für sie, daß sie keine neuen schicken Sachen für die Reise gekauft hatte, und Olivia wußte, daß sie auch diesen abgetragenen Kleidungsstücken ihren ureigenen Stil, etwas von ihrer angeborenen Vornehmheit geben würde.
    Aber es gab doch etwas Neues. Ganz unten im Koffer lag ein Gewand aus smaragdgrüner Wildseide, das sie nun herausholte und hochhielt. Es war ein goldbestickter Kaftan, luxuriös und sinnlich wie aus Tausendundeiner Nacht.
    Olivia war beeindruckt. »Wo hast du denn dieses himmlische Ding her?«
    »Ist es nicht toll? Ich glaube, es kommt aus Marokko. Ich habe es Rose Pilkington abgekauft. Ihre Mutter hat es vor dem Ersten Weltkrieg von einer Reise nach Marrakesch mitgebracht, und sie hat es ganz unten in einer alten Truhe gefunden.«
    »Du wirst darin wie eine Königin aussehen.«
    »Ja, aber das ist noch nicht alles.« Der Kaftan wanderte auf einem Bügel zu den geblümten Baumwollkleidern, und Penelope langte nach ihrem großen Lederbeutel und fing an, in seinen Tiefen zu wühlen. »Du erinnerst dich doch, daß die gute alte Tante Ethel gestorben ist? Ich habe es dir geschrieben. Nun, sie hat mir etwas hinterlassen. Es ist vor ein paar Tagen angekommen, gerade noch rechtzeitig für die Reise.«
    »Tante Ethel hat dir etwas hinterlassen? Ich hätte nicht gedacht, daß sie etwas zu vererben hat.«
    »Ich auch nicht. Aber es ist irgendwie typisch für sie, uns bis zuletzt zu überraschen.«
    Tante Ethel war in der Tat immer für eine Überraschung gut gewesen.
    Lawrence Sterns einzige und viel jüngere Schwester war nach dem Ersten Weltkrieg zu dem Schluß gekommen, daß sie nun, wo der Schützengrabenkrieg in Frankreich den Vorrat an heiratsfähigen jungen Briten so grausam dezimiert hatte, mit ihren dreiunddreißig Jahren kaum eine andere Wahl hatte, als sich mit einem Leben als alte Jungfer abzufinden. Sie verfiel nicht etwa in Depressionen, sondern begann, ihr Leben als alleinstehende Frau zu genießen, soweit dies vertretbar und möglich war. Sie wohnte in einem winzigen Haus in Putney (lange bevor Putney in Mode kam), und um über die Runden zu kommen, nahm sie dann und wann einen Untermieter (und Liebhaber? Ihre Familie war nie ganz sicher) und gab Klavierunterricht. Kein sehr aufregendes Dasein, aber Tante Ethel verstand sich darauf, es trotz ihrer beschränkten Mittel aufregend zu machen und jeden einzelnen Tag bis zur Neige auszukosten. Als Olivia, Nancy und Noel klein waren, konnten sie ihre Besuche kaum erwarten, aber nicht wegen der Geschenke, die sie mitbrachte, sondern weil sie so lustig war, ganz anders als normale Erwachsene. Am meisten freuten sie sich jedoch darauf, sie in Putney zu besuchen, weil man dort nie wissen konnte, was als nächstes passieren würde. Als sie sich einmal an den Tisch gesetzt hatten, um den nicht sehr geglückten Kuchen zu essen, den Tante Ethel zum Tee gebacken hatte, war die Schlafzimmerdecke eingestürzt. Ein andermal hatten sie am Ende ihres winzigen Gartens ein Feuer gemacht, und der

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