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Die Muschelsucher

Die Muschelsucher

Titel: Die Muschelsucher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rosamunde Pilcher
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Lust, dich zu pflegen, wenn du eine Lungenentzündung bekommst.«
    »Tut mir leid.«
    Aber es klang nicht so, als ob es ihr besonders leid täte. Seinen Ärger unterdrückend, drehte Noel sich um, öffnete eine Schiebetür des Einbauschranks, tastete in dem vollgehängten Inneren herum und fand schließlich, was er gesucht hatte, einen uralten Herrenwintermantel aus dickem, dunklem Tweed mit einem abgeschabten Samtkragen und einem räudig wirkenden Kaninchenfellfutter. »Da«, sagte er. »Das kannst du dir leihen.«
    »O Gott.« Sie schien ganz hingerissen zu sein, aber nicht von seiner Fürsorge, wie er wußte, sondern von der verblichenen Pracht des alten Kleidungsstücks. Sie betete alte Sachen an und verwendete einen großen Teil ihrer Zeit und ihres Geldes darauf, an den Ständen der Petticoat Lane herumzusuchen und verschossene Abendkleider aus den dreißiger Jahren und straßbestickte Handtaschen zu kaufen. Nun nahm sie den würdevollen alten Überzieher und zog ihn an. Sie verschwand darin, aber er schleifte wenigstens nicht auf dem Boden nach.
    »Oh, was für ein irrer Mantel. Wo zum Himmel hast du ihn entdeckt?«
    »Er hat meinem Großvater gehört. Ich habe ihn meiner Mutter geklaut, als sie das Haus in London verkauft hat.«
    »Könnte ich ihn nicht behalten? Bitte.«
    »Nein, kannst du nicht. Aber du kannst ihn dieses Wochenende tragen. Die Jäger werden sich fragen, was für ein komisches Tier ihnen da über den Weg läuft, aber sie werden wenigstens was zu reden haben.«
    Sie zog den Mantel um sich zusammen und lachte, aber weniger über seinen kleinen Scherz als vor animalischer Freude, einen pelzgefütterten Männermantel zu tragen, und sie hatte auf einmal so viel Ähnlichkeit mit einem verdorbenen und gierigen Kind, daß er fühlte, wie er scharf auf sie wurde. Unter normalen Umständen hätte er sie sofort zum Bett gezerrt, aber sie hatten keine Zeit mehr dafür. Es würde bis zum Abend warten müssen.
    Die Fahrt nach Wiltshire war nicht schlimmer, als er erwartet hatte. Es hörte keinen Moment auf zu regnen, und der Verkehr stadtauswärts kroch auf drei Fahrspuren dahin. Aber dann waren sie endlich auf der Autobahn und konnten etwas schneller fahren, und der Motor tat ihnen den Gefallen, keine beunruhigenden Geräusche zu machen, und die Heizung funktionierte einigermaßen. Sie unterhielten sich eine Weile, dann verstummte Amabel. Er dachte, sie sei wahrscheinlich eingeschlafen, was sie auf längeren Fahrten oft tat, aber dann merkte er, daß sie herumrutschte und etwas zu suchen schien, und wußte, daß sie nicht schlief. Er sagte: »Was ist?« Sie sagte: »Da knistert was.«
    »Knistert?« Er war aufs höchste alarmiert und stellte sich vor, der Jaguar sei im Begriff, in Flammen aufzugehen. Er nahm sogar Gas weg.
    »Ja. Es knistert und raschelt. Wie ein Stück Papier.«
    »Wo?«
    »Im Mantel.« Sie suchte wieder. »Die Tasche hat ein Loch. Ich glaube, im Fell ist irgendwas.«
    Noel ging erleichtert wieder auf Hundertdreißig. »Ich dachte schon, gleich gibt es eine Feuersbrunst«, sagte er. »Ich hab mal eine halbe Krone im Futter eines Mantels von meiner Ma gefunden. Vielleicht ist dies eine Fünfpfundnote.«
    »Eher irgendein alter Brief oder ein Stück Stanniol von einer Tafel Schokolade. Wir werden es feststellen, wenn wir da sind.« Eine Stunde später waren sie am Ziel. Amabel schaffte es zu Noels gelinder Überraschung, nicht die Orientierung zu verlieren, ihm zu sagen, welche Abfahrt sie nehmen mußten, ihn durch einige kleine Ortschaften zu lotsen und zuletzt zu einer schmalen, gewundenen Landstraße, die zwischen dunklen Feldern und Weiden nach Charbourne führte. Trotz Regen und Dunkelheit konnte man erkennen, daß es ein malerisches kleines Dorf sein mußte, mit einer Hauptstraße, die von breiten, kopfsteingepflasterten Bürgersteigen gesäumt war, und Strohdachhäusern mit kleinen Vorgärten. Sie kamen an einem Pub und einer Kirche vorbei, fuhren dann eine Eichenallee entlang und kamen zu einem großen alten Tor.
    »Das ist es.«
    Er fuhr durch das Tor, passierte ein Pförtnerhaus und erreichte eine Zufahrt, die durch einen gepflegten Park führte. Im Licht der Scheinwerfer sah er dann das Haus, ein großes, langgestrecktes georgianisches Landhaus von den harmonischen Proportionen und der wohltuenden Symmetrie jener Epoche. Zugezogene Vorhänge ließen gedämpften Lichtschein durch, und die Zufahrt endete in einem großen, kiesbestreuten Bogen, der an der Freitreppe vorbeiführte

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