Die Muschelsucher
zurück, aber sie schritt langsam, ohne jede Eile, und inspizierte unterwegs den Gemüsegarten, um sich zu vergewissern, daß die Wildkaninchen sich nicht an ihrem ersten Frühlingskohl gütlich getan hatten, und dann blieb sie neben dem Schneeballstrauch stehen, dessen sperrige Zweige mit tiefrosa, herrlich nach Sommer duftenden Blüten besetzt waren. Sie würde die Gartenschere holen und ein oder zwei Zweige abschneiden, um sie ins Wohnzimmer zu stellen und die beiden Besucher mit dem Duft zu überraschen. Mit der festen Absicht, jetzt wieder ins Haus zu gehen, setzte sie sich in Bewegung, aber sie wurde noch einmal abgelenkt. Diesmal war es der wunderschöne Anblick, den Podmore’s Thatch von hier aus, hinter dem breiten grünen Rasen, bot. Dort stand ihr Haus, in Sonnenschein getaucht, vor einem Hintergrund noch kahler Eichen und einem wolkenlosen, intensiv-hellblauen Himmel, weißgetüncht und zur Hälfte mit Holz verschalt, lang und niedrig, mit Dachgauben, über denen sich das Strohdach, buschigen Augenbrauen gleich, wölbte.
Podmore’s Thatch. Olivia fand den Namen lächerlich und behauptete, sie würde jedesmal verlegen, wenn sie ihn aussprechen müsse, und sie hatte sogar vorgeschlagen, Penelope solle sich einen anderen Namen für das alte Haus einfallen lassen. Aber Penelope wußte, daß man den Namen eines Hauses ebensowenig ändern konnte wie den eines Menschen, wenn man seine Identität nicht zerstören wollte. »Podmores Strohdach«. Sie hatte vom Pfarrer erfahren, daß William Podmore, der es vor zweihundert Jahren gebaut hatte, der Dachdecker des Dorfs gewesen war, und es hatte seinen Namen all die Generationen hindurch behalten. Seit sie das wußte, kam es noch viel weniger in Frage, ihm einen anderen Namen zu geben.
Es war ursprünglich ein Doppelhaus gewesen, aber irgendein Vorbesitzer hatte es in ein Einfamilienhaus verwandelt, indem er einfach Türöffnungen in die Trennmauer brechen ließ. Es hatte also zwei Eingänge, zwei Bäder und zwei uralte Holztreppen behalten. Eine weitere Folge war, daß alle Zimmer ineinander gingen, was lästig sein konnte, wenn man zu mehreren darin wohnte und dann und wann ungestört sein wollte. Im Erdgeschoß waren die Küche, das Eßzimmer, das Wohnzimmer und die alte Küche des zweiten Hauses, die Penelope als Lagerraum für ihre kleineren Gartengerätschaften benutzte und wo sie neben ihren leeren Blumentöpfen, ihren Schaufeln und Hacken auch ihre Strohhüte, ihre Gummistiefel, ihre dicke Segeltuchschürze und dergleichen mehr aufbewahrte. In dem Zimmer über der Küche lagerten Noels Sachen, und dahinter waren drei größere Schlafzimmer. Sie schlief in dem Raum über ihrer Küche.
Unter dem Strohdach gab es noch einen niedrigen, dunklen und muffig riechenden Speicher, in dem all die Dinge lagen und standen, von denen sie sich nicht hatte trennen können, als sie die Oakley Street verlassen hatte. All die Sachen, für die sie keinen anderen Platz gefunden hatte. Sie hatte sich seit fünf Jahren geschworen, diesen Winter endlich alles zu sichten, aufzuräumen und zu entrümpeln, doch jedesmal, wenn sie die steile und wackelige Treppenleiter hinaufging und sich umschaute, verlor sie angesichts der gewaltigen Aufgabe den Mut und verschob es.
Als sie eingezogen war, war der Garten ein Dschungel von Gras und Büschen und Unkraut und wuchernden Rosen gewesen, aber das hatte einen Teil des Zaubers ausgemacht. Sie war eine leidenschaftliche Gärtnerin und brachte jede freie Minute damit zu, Unkraut zu jäten, Beete zu graben, endlose Schubkarrenladungen voll Mist vom Hof heranzukarren, abgestorbene Äste und wilde Triebe abzuschneiden, zu säen, zu pflanzen und zu pfropfen. Nun, nach fünf Jahren, konnte sie hier stehen und stolz sein auf die Früchte ihrer Mühen. Sie tat es jetzt und vergaß darüber Olivia, vergaß die Zeit. Sie tat das oft. Die Zeit hatte ihre frühere Bedeutung verloren. Das war eines der guten Dinge, wenn man alt wurde: Man hatte es nicht mehr eilig und fühlte sich nicht mehr in einem fort gehetzt. Penelope hatte ihr Leben lang für andere gesorgt, und jetzt brauchte sie nur noch an sich selbst zu denken. Man hatte Zeit, stehenzubleiben und zu schauen und sich dabei seinen Erinnerungen hinzugeben. Das Blickfeld erweiterte sich, als schaute man von den Hängen eines mühsam erkletterten Berges in die Ferne, und wenn man so weit gekommen war, schien es unsinnig, nicht zu verweilen, um den Ausblick zu genießen.
Dafür hatte das Alter
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