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Die Mutter

Die Mutter

Titel: Die Mutter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Hammesfahr
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stieß sie die Luft aus und auf dem Weg zur Landstraße legte sie die Hand auf den Schaltknüppel. Ich war erst im zweiten Gang.
    «Das reicht», sagte sie. «Es muss uns nicht so gehen wie Annegret.Die Ziegler erzählte, dass Kuhlmann noch zweimal versucht hat, sich das Licht auszuknipsen – im Krankenhaus. Ich hab mich schon gewundert, dass sie ihn noch nicht entlassen haben. Die Ziegler sagte, einmal hat er Tabletten gesammelt und einmal ist er runter in den Heizungskeller und wollte sich an den Rohren aufhängen. Jetzt lassen sie ihn nicht mehr aus den Augen. Es sitzt ständig einer von der Familie bei ihm.»
    Ich fühlte, dass sie mich verstohlen betrachtete. Und ich wusste, was sie sagen wollte – Reiß dich zusammen, Vera. Kuhlmann wird zur Belastung für die gesamte Familie. Aber du bist nicht Kuhlmann   –, auch wenn sie es anders ausdrückte.
    «Furchtbar, wenn einer sein Leben so an andere hängt, dass ihm für sich selbst nix bleibt. Man muss den Dingen ins Auge sehen; auch Freund Hein, wenn er kommt.»
    Zwei Sekunden war sie still. Nur zwei Sekunden, als wolle sie mir Gelegenheit geben, mich aufs Abbiegen zu konzentrieren. Kaum war ich auf der Landstraße, sprach sie weiter. «Der Doktor sagte vor Jahren mal, so ’n Studium verführt dazu, sich allmächtig zu fühlen. Man hat ’ne Menge Pillen und Maschinen und denkt, damit kann man dem Tod eins auswischen. Nur lässt der sich nicht bescheißen. Wenn man ihm die Alten streitig macht, holt er sich eben die Jungen. Aber noch haben sie nix gefunden in den Rohren. Und es kann ja sein, dass sie sich irren.»
     
    Jetzt könnte ich behaupten, ich sei ruhig gewesen, gefasst und beherrscht. Niemand könnte mir das Gegenteil beweisen, auch Gretchen nicht, obwohl sie neben mir saß und mich nicht aus den Augen ließ. Ich könnte auch behaupten, es sei der bis dahin allerschlimmste Moment gewesen, als ich den Fiesta bei der Spar- und Darlehenskasse anhielt und, gefolgt von Gretchen, auf die Gruppe von Männern zuging, die bei einem offenen Kanalschacht standen. Klinkhammer und Olgert waren dabei. Und Olgert wusste nicht, wohin er schauen sollte, als er mich kommen sah.
    Es war nicht der allerschlimmste, es war nur ein kalter Moment. So eisig, dass die Atemluft in den Lungen gefror, dass Gretchens Hand an meinem Arm der letzte Funken Wärme war.
    Reine Routine, sagte Klinkhammer auch zu mir und erklärte in nüchtern geschäftsmäßigem Ton, was unter der Straßendecke vor sich ging. Als sei er ein Mitarbeiter der Spezialfirma und wolle mir nur die Vorzüge ihres Geräts verdeutlichen.
    Eine ferngesteuerte Kamera steckte in den Rohren, wurde elektrisch oder elektronisch oder weiß der Teufel wie vorwärts bewegt. Und in dem weißen Transit am Straßenrand saß ein Mann vor einem Monitor und betrachtete, was vor die Kameralinse geriet. Nicht viel bisher. Eine kleine Bruchstelle in der oberen Rundung eines Rohres, nicht der Rede wert und nicht reparaturbedürftig, ein paar Lumpen und sonstiger Unrat.
    Es stand immer noch eine Menge Volk herum. Und Kinder, ein ganzes Rudel Kinder. Die offenen Hecktüren am Transit waren dicht umlagert. Selbst wenn ich gewollt hätte, ich wäre nicht nahe genug an den Wagen herangekommen, um einen Blick auf den Monitor zu werfen. Aber ich wollte nicht. Wie grausam allein die Vorstellung, dass sie seit fast vier Wochen in einem der Rohre   … Dass der Mann am Bildschirm bei diesem oder beim nächsten Abschnitt rief: «Da ist was.»
    In manchen Augen spiegelte sich Mitgefühl, in anderen glitzerte Sensationslust. Ich erkannte Scherers Gesicht in der Menge, Hennessens Schwester und Frau Ziegler, die sich sofort in Bewegung setzte und auf uns zukam. Sie sagte irgendwas, es klang nach Mitleid, aber es klang nur so. Und Jürgen war nicht da, Anne nicht, meine Eltern nicht.
    Auch Gretchen ließ mich allein, um Frau Ziegler anderweitig zu beschäftigen. Ich war dankbar, als Klinkhammer sich das Haar endlich hinter den Ohren festklemmte, mich zu seinem Wagen lotste und sich eine weitere Erklärung abrang. Gretchen und Frau Ziegler tauchten in der Menge unter, während ich mir anhörte, dass siesich bereits in der vergangenen Woche zu dieser Aktion entschlossen hatten.
    Einer der Feuerwehrmänner hatte ihnen von dem einige Jahre zurückliegenden Unfall eines Kameraden berichtet und darauf hingewiesen, dass auch in der fraglichen Nacht zwei Deckel hochgedrückt worden waren. Zwei offene Schächte, nicht auszumachen in der Dunkelheit unter

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