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Die Mutter

Die Mutter

Titel: Die Mutter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Hammesfahr
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den Kopf, woher er die Stimme kennt. Und ich denke die ganze Zeit, wenn er den Kerl kennt, kenne ich ihn wahrscheinlich auch.»
    Sekundenlang war er still, dann fuhr er fort, die Stimme so schwer wie mit einer Tonne Blei belegt. «Ich habe versucht ihm klarzumachen, dass man offen mit ihr reden muss. Sie schnappt hier etwas auf und da etwas und wird verrückt dabei, weil sie sich alles Mögliche und Unmögliche zusammenreimt. Aber wenn ich ihr gesagt hätte, wie die Dinge stehen, ich hätte auf der Straße gesessen. Er hat mich in der Hand. Und er hat mir allen Ernstes gedroht, dass er die Hypothek platzen lässt. Ich konnte es mir nicht leisten, den Mund aufzumachen. Also bin ich abgehauen wie eine feige Sau.» Wieder war es sekundenlang still hinter der Tür. In mir auch. Mein Herz hatte aufgehört zu schlagen. «Er!» Damit war ohne jeden Zweifel mein Vater gemeint.
    Jürgen sagte unwillig: «Hör auf damit!» Dann sprach er weiter mit dieser bleischweren Stimme. «Das Schlimmste für mich ist, wie er darüber spricht. Da geht der Richter mit ihm durch. Er analysiert wie ein Jurist, nicht wie ein Großvater. Er hätte schon mehr als einen Mörder zusammenbrechen sehen, sagte er. Er hätte sie jammern und heulen hören. Und genau das wäre es gewesen. Kannst du dir das vorstellen? Da bringt so ein Schwein meine Tochter um, und anschließend reißt er sich den Arsch auf, uns um Verzeihung zu bitten. Er sucht Verständnis bei uns, sagt mein Schwiegervater. Und Klinkhammer meint, er hat Recht.»
    «Aber Klinkhammer meinte doch», nuschelte Eva Kettler, «das Kolter-Mädchen hätte ihr was getan. Hat sie doch auch gesagt auf dem Band, oder?»
    Jürgen ließ ein raues Lachen hören. «Ja, hat sie. Weiß der Teufel, was damit gemeint war. Vermutlich das Geld, das Rena von meiner Mutter zum Geburtstag bekommen hat. Wahrscheinlich hat sie ihnen in der Pause davon erzählt und sie damit auf die Idee gebracht. Die haben da nicht umsonst vier Stunden auf der Straße gestanden. Klinkhammer hält es auch für denkbar. Das Sparbuch von Menkes Eltern war nämlich mit einem Kennwort gesichert. Da konnten sie gar nicht ran. Und Nita hatte nur zweihundert aufihrem Konto, damit wäre sie keinen Tag ausgekommen bei ihrem Bedarf.»
    Er gönnte mir eine winzige Pause, zu kurz für einen Atemzug. «Aber der Rest ist nur die Version für das gestresste Töchterlein. Das muss man sich bildlich vorstellen. Mein Schwiegervater kann kaum aus den Augen sehen, aber er steckt sich einen Hauptkommissar in die Tasche. Er hat uns allen wärmstens ans Herz gelegt, bei der Kolter-Fassung zu bleiben, damit seine Einzige nicht das halbe Dorf massakriert. Die Aufklärung will er übernehmen. Ich bin gespannt, wann er damit anfängt.»
    Eva Kettler sagte: «Jetzt vergiss es für eine Viertelstunde.»
    «Ich kann nicht», sagte Jürgen und sprach weiter über meine Verfassung und seine Nerven. Dass er sich fühle wie ein Scheißkerl. Es wäre ein denkbar ungünstiger Zeitpunkt gewesen, das Haus zu verlassen. Aber hätte er es nicht getan, hätte er mich erwürgen müssen, damit ich endlich den Mund hielte.
    Er erzählte ihr von meiner biestigen Ader, die immer dann durchbrach, wenn ich mir nicht anders zu helfen wusste. Dass er eine Menge von mir eingesteckt hatte im Laufe der Zeit. Zuerst sei er gut genug gewesen, mir ein Kind zu machen, damit ich ein Alibi hatte, mich vor dem zweiten Staatsexamen und dem Beruf zu drücken. Dann hätte ich gesehen, dass auch ein Kind Arbeit war, und wäre am liebsten zurück zu Papi gekrochen.
    «Du kannst dir nicht vorstellen, was für einen Aufstand sie gemacht hat, als sie mit Rena schwanger wurde. Wenn sie gekonnt hätte, hätte sie sich den Fötus aus dem Leib gerissen. Nach der Geburt war ich ein paar Mal nahe dran, sie vor die Tür ihrer Eltern zu kutschieren.» Seine Stimme klang verkrampft.
    «Entspann dich», sagte Eva Kettler.
    «Jetzt hör endlich auf. Ich kann wirklich nicht», sagte er. «Mir wirft sie vor, ich hätte mich nicht um Rena gekümmert. Wie hat sie sich denn gekümmert? Weißt du, wie oft ich heimkam und das Baby lag so dreckig in seinem Bettchen, dass man es kaum anfassenkonnte? Und Anne lag davor auf dem Boden und schlief mit einem Lappen in der Hand. Wenn ich sie weckte, sagte sie: ‹Muss Baby wischen.› Und Madame lag auf der Couch und guckte sich die Rudi-Carrell-Show an.»
    Endlich schwieg er. Wenn es mir gelungen wäre, durch die geschlossene Tür Eva Kettlers Kopf über seinem Schoß

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