Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Mutter

Die Mutter

Titel: Die Mutter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Hammesfahr
Vom Netzwerk:
weiß ich, wen Dolf meint. Kemnich. Wie kommt er denn auf den? Das ist doch schon ewig her. Es war auch nur eine vorübergehende Sache mit seiner Detektei. Kemnich hat ja die Butter nicht aufs Brot verdient. Hin und wieder eine Ehegeschichte, davon kann kein Mensch leben. Es ging ziemlich schnell bergab mit ihm. Er fing zu trinken an, seine Frau verließ ihn. Tja, und er geriet auf die schiefe Bahn. Tragische Sache.»
    Das Letzte, was Steinschneider von Kemnich gehört beziehungsweise gelesen hatte, war eine Postkarte aus der Haftanstalt. «Er war zu zwei Jahren wegen mehrfachen Einbruchdiebstahls verurteilt worden, und das ist jetzt – lassen Sie mich nachdenken – auch schon wieder vier Jahre her.»
    Es gelang mir nicht, mich völlig auf seine Stimme zu konzentrieren. Einiges von dem, was er sagte, rauschte an mir vorbei wie das Wasser auf der Dorfstraße. Und genauso verschwand es in einem Kanalschacht. Im Geist saß ich an Vaters Bett und Vater sagte: «Warum engagierst du nicht endlich jemanden? Ich habe dir einen Scheck gegeben, Vera, nun spiele auch fein damit. Beschäftige dich, damit wir in Ruhe alles Notwendige tun können.»
    In Gretchens Augen spiegelte sich erneut Unbehagen, hinzu kam Wachsamkeit. Mir war nicht bewusst, dass ich weiter ins Telefon sprach. Gretchen sagte später, ich hätte sehr energisch gesprochen.
    Heinz Steinschneider versprach nach einer Weile mit deutlicher Zurückhaltung: «Ich kann es versuchen, wenn Ihnen so viel daran liegt. Aber ich halte es nicht für sinnvoll. Da bin ich einer Meinung mit Herrn Klinkhammer, es ist hinausgeworfenes Geld. Kemnich wird sich ein paar schöne Tage damit machen. Vorausgesetzt, ich mache ihn überhaupt ausfindig.»
    «Tun Sie Ihr Bestes», sagte ich und legte endlich auf.
    Tu dein Bestes, Vera. Tu, was du kannst, nur drück dich nicht länger. Drück auf die Taste. Ich schaute Gretchen an. Unter ihremlinken Auge zuckte ein winziger Muskel. Ich überlegte, wie der Muskel hieß. Es fiel mir nicht ein. Ich war auch nicht sicher, ob ich es irgendwann einmal gewusst hatte.
    «Du bist nervös», stellte ich fest.
    Sie hob die Schultern, zeigte auf den Anrufbeantworter. «Ich wusste nicht, was ich machen soll. Du hast gesagt, zu Mittag bist du wieder hier. Er hat um elf angerufen.»
    «Er!?»
    Noch einmal zuckte sie mit den Schultern. Und ich drückte endlich auf den kleinen schwarzen Plastikknopf. Das Band spulte zurück. Dann kam die Stimme. Er oder sie, ich hätte es nicht mit Bestimmtheit sagen können. Ich hätte auch nicht sagen können, ob die Stimme vom Weinen gebrochen war oder von etwas anderem. Ich hörte kein Weinen, nur Atemlosigkeit und Qual.
    Die ersten Worte kamen lang gezogen, zittrig und so, als reagiere nur jemand auf eine Hiobsbotschaft. «O mein Gott.» Pause. «Sag doch nicht so was. Das halt ich nicht aus.» Pause. «Ich kann nicht mehr.»
    Gretchen gab ein Zeichen, dass jetzt erhöhte Aufmerksamkeit gefordert sei. Ich hörte ihre Stimme vom Band, ruhig und behäbig. «Ist ja gut. Nu mal ruhig.»
    Stille. Dann wieder die Stimme, unverändert gebrochen und atemlos, aber nun mit einem schrillen, hysterischen Unterton. «Wer ist da?»
    Bei der ersten Silbe entstand ein Hauch von Vertrautheit. Ein Gefühl, als hätte ich einen Namen auf der Zunge. Die nachfolgenden Silben wurden so schnell ausgestoßen, dass sie wie ein zusammenhängendes Wort klangen. Wersta, verstand ich. Und in der Sekunde, die ich brauchte, um dieses Wersta in drei Teile zu gliedern, verlor sich das Gefühl des Bekannten wieder.
    «Ich», sagte Gretchen vom Band. «Was ist denn los? Hast ’ne Dummheit gemacht, was? Und jetzt tut’s dir Leid. Willst du drüber reden? Mir kannst du’s ruhig sagen. Bist nicht der Einzige, dem esso geht, glaub mir. Man macht viel falsch im Leben, und nicht alles lässt sich wieder hinbiegen. Aber manchmal wird’s leichter, wenn man drüber spricht.»
    Es folgten zwei Sekunden Rauschen, in denen ich einen tiefen Atemzug zu hören glaubte. Ich wartete auf noch ein paar Worte. Ich war mir fast sicher, dass mir der Name zurück auf die Zunge rutschte, dass ich ihn sogar über die Lippen brachte, wenn noch ein paar Sätze kamen. Aber es klackte und ich hörte Patrick über den Schwarzenegger-Film reden.
    Auf Gretchens Miene machten sich gespannte Erwartung und ein wenig Schuldbewusstsein breit. «Hast du’s gehört?»
    Natürlich hatte ich es gehört, jedes Wort. Aber sie meinte nicht die Worte, sondern etwas, das von ihrer Stimme

Weitere Kostenlose Bücher