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Die Mutter

Die Mutter

Titel: Die Mutter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Hammesfahr
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du eben reinkamst. Weiß wie ’ne Wand! Und jetzt erzähl mir nicht wieder, das wär nur so gewesen, weil du den Doktor mit ’ner anderen erwischt hast. Wenn’s nur das gewesen wäre, hättest du getobt oder einfach die Schnauze gehalten. Ist doch so üblich bei euch, Schnauze halten und durch. Mir machste nix vor, Kindchen. Ich seh, wenn einer seinen Verstand unterm Arm trägt. Ich dachte, ach, du heiliger Bimbam, die klappt dir zusammen, und was machste dann? Sitzt hier fest in ’ner Bude, wo du nich weißt, auf welche Knöpfe du drücken musst.»
    Sie redete sich erneut in Rage. Und mir fiel auf, dass ihre Stimme dabei mehr und mehr Ähnlichkeit mit der des Anrufers bekam. Nicht vom Klang, nur von der Art her, wie sie die Endlaute verschluckte. Es steigerte sich gleichlaufend mit ihrer Erregung.
    «Ich wusst ja nich mal, ob ich telefoniern darf, wenn das Ding an is. Und ich hab mich nich getraut, damit rumzuprobieren. Ich wollt nix kaputtmachen. Wenn du die Kripo nich anrufn willst, ruf den Doktor an, sonst tu ich’s. Is sein Kind genauso wie deins. Und noch was; dass er fremdgeht, könnt ihr später unter euch abmachn. Is jetz nich die richtige Zeit, also halt die Schnauze, wenn er kommt.»
    Jürgen kam sofort, nachdem sie ihn informiert hatte. Ich hatte es tun wollen, aber als ich zu stottern begann, nahm sie mir den Hörer aus der Hand und sagte: «Schluss mit den Sperenzchen. Du wirst daheim gebraucht. Es ist wieder so ’n Anruf gekommen.»
    Wir saßen in der Küche, als er ins Haus kam. Ich hatte ihr eine Menge erzählt, kreuz und quer durch den Tag. Geholfen hatte es diesmal nicht, dass sie aufmerksam zugehört hatte, weil sie irgendwann sagte: «Wenn man sich jahrelang was vorlügt, darf man sich nicht wundern, wenn die anderen denken, man wär nicht geschaffen für die Wahrheit.»
    Sie erhob sich und ging in die Diele, als sich die Haustür hinter Jürgen schloss. Ich blieb sitzen. Ich konnte ihn jetzt nicht sehen. Gesprochen wurde nicht viel zwischen ihnen. Ein knappes «da» von Gretchen. Jürgen murmelte etwas, dann konzentrierten sie sich auf das Band.
    Sie machten drei, vier Durchläufe, bis ich das Gefühl hatte, ich müsse schreiend aus dem Haus rennen. Mit jedem Durchlauf wurde es intensiver und drängender: Da sprach Renas Mörder!
    Jürgen entschied: «Ich rufe Klinkhammer an.»
    Gretchen sagte: «Vera meint, er   …»
    Jürgen unterbrach sie: «Was Vera meint, interessiert mich einen feuchten Dreck. Wo ist sie überhaupt?»
    Eine Antwort kam nicht. Vermutlich zeigte sie nur auf die Küchentür.Jürgen rief: «Mach Kaffee, Vera, aber einen starken!» Er wählte zweimal, daraus schloss ich, dass er im Büro keinen Erfolg hatte und den zweiten Versuch mit Klinkhammers Privatnummer machte. Sekunden später hörte ich ihn reden, nüchtern und sachlich, nur die Fakten.
    Nachdem das Gespräch beendet war, stürzte er sich erneut auf den Anrufbeantworter. Ich weiß nicht, wie oft er es sich bis zu Klinkhammers Eintreffen anhörte, wie oft er Gretchen erklärte, meine Mutter hätte Recht, die Hintergrundstimme gehöre zu einer älteren Frau. Dass diese Frau sagte: «Ich weiß, dass du da bist.» Wie lange er über Silbenrhythmik und Zischlaute referierte. Wie oft er Gretchens «tut’s» dem «dass du» der Frau gegenüberstellte, weil es an dieser Stelle besonders deutlich war.
    Gretchen sagte trocken: «Da hörst du mehr wie ich. Ich hör kein ‹dass du›.»
    Du denn, dachte ich. Und ich dachte, ich hätte den Verstand verloren. Es war zu viel, meine Grenze längst überschritten. Dass meine Grenze der Sarkasmus war, wusste ich seit langem. Jürgen hatte es mir oft genug gesagt. Und dahinter kam nichts mehr. Ich mochte Vorsätze fassen, soviel ich wollte. Meine Reserven waren erschöpft.
    Klinkhammer kam. Ich machte Kaffee, einen starken. Ich hatte dabei einen Gedanken wie eine Endlosschleife. Es ist jemand aus dem Dorf. Sie geben sich hier nicht so viel Mühe mit der Sprache. Sie verschlucken die Hälfte. Es ist jemand aus dem Dorf. Sie geben sich hier   …
    Ich brachte Jürgen eine Tasse in die Diele. Er nahm sie, ohne mich eines Blickes zu würdigen. Klinkhammer grüßte nur mit einem flüchtigen Nicken, er wollte keinen Kaffee. Und er hatte die besten Ohren. Vielleicht lag es daran, dass er emotional nicht so stark beteiligt war.
    Während ich zurück in die Küche ging, machte er Jürgen auf etwas aufmerksam, von dem ich in der Küche nichts verstand. Jürgensagte: «Tatsächlich, Sie

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