Die Mutter
Unterschiede gibt’s doch. Und wenn man’s mal im Ohr hatte … Ich kann ja fragen, ob Klinkhammer mir eine Chance gibt. Manchmal sind sie hilfsbereit. Aber zuerst besorge ich mir ein Foto von Nita.»
«Ich glaube nicht, dass Sie bei ihrer Mutter mehr Erfolg haben als ich.»
Aus seinem Lächeln wurde ein amüsiertes Lachen. «Wer spricht denn von ihrer Mutter?»
Er lachte noch, als er zum geschäftlichen Teil kam. Dreihundert pro Tag, plus Spesen. Das war der günstigste Satz, ein Freundschaftsangebot, darunter war nichts zu machen. Ich konnte mich gerne umhören, was andere verlangten. Er wollte mich nicht übers Ohr hauen, wirklich nicht. Aber über hundert brauchten wir nicht zu diskutieren. Die ersten drei Tage wurden im Voraus bezahlt, das war so üblich. Spesen, die in diesen drei Tagen entstanden, wollte er später mit mir abrechnen, selbstverständlich gegen Quittung.
Neunhundert Mark Bargeld! Hatte ich nicht. Vaters Scheck lag noch in meinem Nachttisch. Und kaum hatte ich ihn erwähnt,machte Kemnich mir einen anderen Vorschlag und vermittelte mir damit das Gefühl, ich sollte ihn besser hinauswerfen.
Er wollte die gesamten Fünftausend. Dafür konnte ich so viel von seiner Zeit haben, wie nötig war.
«Es kann Monate dauern», sagte ich, «ein Mädchen in einer Stadt wie Frankfurt aufzuspüren. Und wer garantiert dafür, dass Nita überhaupt noch in Frankfurt ist?»
«Keiner», räumte er ein. «Natürlich kann es Monate dauern. Es kann ein Jahr dauern, wollen Sie das bezahlen? Für Sie ist es ein tolles Angebot. Der Rest ist mein Problem. Sie müssen nur ja sagen und mir den Scheck geben. Und ich garantiere Ihnen, ich finde das Mädchen. Und wenn Ihre Tochter bei Nita Kolter ist, finde ich beide.»
Ich sagte ja und gab ihm den Scheck. Er steckte ihn ein, es war ein Barscheck. Ansonsten wollte er nur noch die Namen aus Nitas Clique. Uwe Lengries, Henrik Emmersen, Janet Abel, Stefanie Burk, Wiltrud Heister. Mein Gedächtnis funktionierte auch unter dem Notaggregat.
Kemnich suchte sich die Adressen aus dem Telefonbuch und erklärte mir dabei, dass er nichts von schriftlichen Berichten hielt. Er hielt auch nichts davon, sich regelmäßig zu melden, wenn es nichts zu melden gab. Sobald er etwas von Bedeutung herausfand, wollte er mich informieren.
Wir vereinbarten, dass er seine Informationen nicht auf Band sprach, dass er sich nur mit Datum und Uhrzeit meldete und anschließend langsam bis zwanzig zählte. Wenn ich bis dahin nicht abgenommen hatte, sollte er auflegen. Das galt auch für den Fall, dass Jürgen an den Apparat kam.
Er zuckte mit den Achseln, als wollte er sagen: «Wenn es Ihnen so mehr Spaß macht.» Dann fuhr er vom Hof, und ich hatte das Gefühl, ich hätte Vaters Scheck ebenso gut die Toilette hinunterspülen können.
Ich ging nach oben, saß eine halbe Stunde auf Renas Bett undsprach mit ihr, als könne sie mich hören. Ich erzählte ihr von der Zerrissenheit, der fürchterlichen Ungewissheit und dass ich sie liebte. Vielleicht ein bisschen mehr liebte als Anne. Die, um die man sich sorgen muss, liebt man immer ein bisschen mehr als die, auf die man nur stolz sein darf. Auch wenn man es nicht zeigt.
Ich hätte noch länger gesessen und ihr noch mehr erzählt, wenn mich das Telefon nicht zurück in die Diele gerufen hätte. Wieder dasselbe Spiel: Meine Ansage durchlaufen lassen, mit zunehmender Beklemmung auf eine Stimme warten. Achtzehn Sekunden können entsetzlich lang sein.
Dann die Erlösung, das Aufatmen. Es war Regina Kolter, die mir umständlich erklärte, dass ich vergessen hatte, ihr unsere Telefonnummer zu geben, dass die Auskunft ihr jede Auskunft verweigert hatte, dass sie eine halbe Stunde gesucht hatte, ehe sie unsere Nummer in Nitas Notizheft fand.
Sie klang, als sei sie betrunken. Und sie rief nur an, um mir zu sagen, es sei alles in Ordnung, sie habe Erfolg gehabt. Eine gute Bekannte hatte ihr geholfen. Regina Kolter wusste nun, dass Rena bei Nita war und dass es beiden Mädchen gut ging.
Ich fühlte den Herzschlag nicht und nicht das Bersten im Hirn, als der Damm brach, als alles, was sich dahinter aufgestaut hatte, mir in die Glieder schoss. Die kleinen blauen Flämmchen wuchsen zu riesigen Feuerbällen, ehe sie in sich zusammenfielen und erloschen.
Es waren nur zwei Sekunden, in denen ich an den Scheck in Kemnichs Tasche dachte, mich für den Eigensinn verfluchte, der es mir verboten hatte, auf Heinz Steinschneider zu hören. Jetzt brauchte ich das Geld
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