Die Mutter
Mutti? Versprichst du mir das?»
«Ja», sagte ich. «Und ich halte es auch. Wir besuchen ihn in den nächsten Schulferien, zu Weihnachten.»
Sie wollte unbedingt bei mir schlafen. Jürgen fand, das ginge zu weit. Kinder im Ehebett waren ihm immer ein Gräuel gewesen. Auch als sie noch klein waren, das duldete er nicht. «Wenn sie sich einmal daran gewöhnen, kriegen wir sie nicht mehr raus», sagte er damals, als Rena die Mittelohrentzündung hatte und so hoch fieberte.«Du kannst ja hin und wieder nach ihr sehen. Aber sie bleibt in ihrem Bett. Das fangen wir gar nicht erst an.»
Ich brachte Rena in ihr Zimmer, blieb noch eine Weile bei ihr. Bis sie eingeschlafen war, erzählte ich ihr von den Weihnachtsferien und unserem Besuch bei Mattho. Dann ging ich hinunter. Sie waren alle im Esszimmer und alle waren sie zufrieden.
Mutter verteilte heiße Brühe an die Männer. Vater kam aus der Scheune und bot ihnen einen Schnaps an. Scherer lächelte mich an und sagte: «Es lässt einem ja keine Ruhe. Und was du heute kannst besorgen, das verschiebe nicht auf morgen.»
Dann verabschiedeten sie sich einer nach dem anderen. Wir blieben bei der Haustür stehen, bis der letzte Traktor vom Hof gefahren war. Jürgen hatte den Arm um meine Schultern gelegt. Er wirkte müde, aber sehr erleichtert.
«So ein Luder», sagte er, als wir hinaufgingen, es klang, als spräche er ihr ein dickes Lob aus. «Die Mathearbeit können wir vergessen. Hat sie doch wieder ihren Kopf durchgesetzt. Aber in Zukunft werden wir ihr nicht mehr alles durchgehen lassen.»
Komisch, dachte ich, er begreift nicht, worum es tatsächlich ging. Oder er will es nicht begreifen. Würde er, dann müsste er sich fragen, warum wir ihr das verdammte Tier nicht gekauft haben.
Wir hatten darüber diskutiert. Achtzehntausend Mark. Und er hatte gesagt: «Ich bitte dich, Vera, es gibt auch kleinere Preise. Anne wird zum Abitur auch keinen Porsche bekommen.»
«Hast du ihr die Entschuldigung für die Schule schon geschrieben?», fragte er. Das hatte ich nicht. Er winkte ab, als ich noch einmal hinunter wollte. «Mach es morgen. Es reicht bestimmt, wenn Anne im Rektorat Bescheid sagt.»
Wir gingen ins Bett. Es war vier Uhr. «Jetzt müssen wir ein bisschen schneller schlafen», sagte Jürgen, als er sich neben mir ausstreckte. «Viel ist nicht übrig von der Nacht.»
Ich weiß nicht, wann ich eingeschlafen bin. Ich weiß überhauptnichts. Ich wusste auch nicht, dass Rena hin und wieder zu Gretchen ging. Ich erwachte vom Geräusch eines Motors, lag in meinem Bett und fühlte, dass ich nackt war. Völlig nackt, kein Nachthemd, keine Unterwäsche. Ich schlief sonst nie ohne Nachthemd und Wäsche und konnte mir das nicht erklären.
Jürgen stand am Fenster, komplett angezogen. Es war noch nicht richtig hell, er sah grau aus. Und alt. Er drehte sich zu mir um. «Es ist Scherer.»
Zuerst frage ich mich, was Scherer noch wollte. Dann fiel mir ein, dass er versprochen hatte, meinen Fiesta zu holen. In der Nacht hatten sie nicht daran gedacht.
«Ich geh mal runter», sagte Jürgen. Er trug eine derbe Kordhose, eine alte Lederjacke und Gummistiefel. Schmutzige Gummistiefel auf der hellen Auslegware im Schlafzimmer.
«Lass das nicht Mutter sehen», sagte ich.
Er ging auf die Tür zu. «Was meinst du, was mich das jetzt kratzt. Willst du noch liegen bleiben?»
Ich warf einen Blick auf die Uhr, es war kurz nach sechs. «Noch ein bisschen», sagte ich. «Nur ein Viertelstündchen. Ich hatte zwei Stunden Schlaf. Wenn du damit auskommst, mir reicht es nicht.»
Seine Hand lag auf der Türklinke. Er nickte. Dann verließ er das Schlafzimmer. Die Tür schloss er hinter sich. Ich hörte ihn auf dem Flur mit Anne reden. «Denk daran, um sieben bei Jasmin anzurufen. Sie soll die Termine für heute absagen. Ruf auch Sandra an. Ich weiß nicht, ob heute früh was fürs Labor anstand. Wenn was zu tun ist, soll sie es machen. Danach kann sie heimgehen.»
«Mach ich. Was ist mit Mutti?»
«Lass sie liegen», sagte er. «Sie packt das nicht.»
Von unten hörte ich meinen Vater rufen. «Jürgen! Wie lange soll der Mann denn noch warten?»
Jürgen rief zurück: «Ich komme ja schon.» Und auf dem Hof brummte der schwere Motor.
Ich wusste nicht, warum. Ich wusste auch nicht, warum ichnackt war. Ich erinnerte mich, dass Mutter mir aus den nassen Kleidern geholfen hatte. Dass sie mir auch den Büstenhalter und den Schlüpfer ausgezogen und dabei gesagt hatte: «Mein Gott, du bist ja
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