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Die Mutter

Die Mutter

Titel: Die Mutter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Hammesfahr
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als hätte sich das halbe Dorf bei Gretchen eingefunden. Jürgen griff nach meinem Arm, zog mich aus dem Sessel hoch und schob mich durch die Menge auf die Tür zu. Er rauchte eine Zigarette. Ich hatte ihn seit ewigen Zeiten nicht mehr rauchen sehen. Wir gingen zur Haustür. Auf der Straße warf Jürgen die Zigarette weg.
    Es war merkwürdig, wie sie ins Wasser fiel und erlosch. Es war ein Stich ins Herz. Ich hörte eine Frau schreien: «Sie ist nicht tot. Sagt mir, dass sie nicht tot ist.»
    Es war nur ein Fetzen Erinnerung! Ich hatte das einmal gesehen: die Zigarette, die ins Wasser fiel. Die schreiende Frau, die auf der Straße in die Knie ging und ihre Stirn gegen die Bordsteinkante schlug, bis jemand sie hochriss. Es war lange her.
    Eine ältere Frau kam zu mir, legte mir den Arm um die Schultern und führte mich zu einem Mercedes. Es war ein uraltes Modell. Die Frau öffnete die Tür an der Beifahrerseite und ließ mich einsteigen. Während sie vorne um das Auto herumging und ebenfallseinstieg, sah ich Jürgen zu einem Traktor gehen und mit dem Fahrer sprechen. Es war Scherer mit seinem Lanz. Die ganze Straße stand voller Traktoren, einer hinter dem anderen. Zehn, zwölf, ich konnte sie nicht zählen. Es regnete immer noch, aber nur leicht. Den Wind spürte ich nur im Kopf. Der Himmel war aufgeklart. Ich sah den Mond.
    Die Frau brachte mich zurück auf den Hof. Sie fuhr zügig und sprach auf mich ein. Dass ich mir keine Sorgen machen müsse. Dass die Männer Rena finden, dass sie mit ihren Traktoren eine Kette bilden und Acker um Acker kontrollieren würden. Irgendwie kam die Frau mir vertraut vor. Doch erst als wir die Einfahrt passierten, erkannte ich sie. Es war meine Mutter.
    «Ich wusste gar nicht, dass du Auto fahren kannst», sagte ich.
    Mutter lachte. «Du weißt vieles nicht. Früher habe ich sogar Lastwagen gefahren. Kurz nach dem Krieg, es waren ja keine Männer da. Da mussten wir Frauen ran. Und ich werde doch mein Mädchen nicht im Stich lassen, wenn es mich braucht. Jetzt gehen wir hinein und machen uns einen starken Kaffee. Und dann kochen wir Brühe für die Männer. Etwas Heißes wird ihnen gut tun, wenn sie zurückkommen. Sie werden sicher nicht lange brauchen.»
    Mutter fuhr den alten Mercedes in die Scheune und half mir beim Aussteigen. Ich war dankbar, dass sie bei mir war. Wir gingen in die Küche, sie brühte Kaffee auf, stellte zwei Gedecke auf den Tisch. Aber dann fand sie, ich solle mich hinlegen. «Du bist so blass und durchgefroren, Kind.»
    Sie ging mit mir hinauf, half mir, die nassen Sachen vom Leib zu ziehen, wickelte mich in eine Decke. «Ich bringe dir eine Tasse Kaffee ans Bett», sagte sie. «Du wirst ja doch nicht schlafen können. Aber du musst wieder richtig warm werden und dich ausruhen.» Wenig später kam sie mit einem Tablett herauf. Sie hatte mir auch ein paar Kekse dazugelegt, setzte sich zu mir aufs Bett.
    «Wo sind Vater und Anne?», fragte ich.
    «Anne schläft», sagte Mutter. «Ich habe ihr gesagt, sie soll sichhinlegen. Es ist nicht nötig, dass sie auch noch draußen herumläuft, sie muss doch morgen zur Schule. Vater sucht in der Scheune und in den Ställen, damit wir nichts außer Acht lassen. Es ist ja möglich, dass sie sich in ihrem Kummer um den Hengst irgendwo verkrochen hat, nicht wahr?»
    Mutter blieb bei mir sitzen, bis wir auf dem Hof die schweren Traktoren vorfahren hörten. Da lief sie ans Fenster. «Ich wusste es doch», rief sie. «Ich wusste, dass die Männer sie finden.»
    Wenig später lag Rena im heißen Badewasser. Jürgen sagte: «So ein kleines Biest. Du ahnst nicht, wo sie sich verkrochen hatte. Ich habe dir doch mal erzählt, dass wir als Jungs Höhlen in den Bahndamm gegraben haben. Das war immer ein Ärger, es war streng verboten. Die von der Bahn hatten Angst, dass da mal die Erde nachsackt und es ein Unglück gibt. Aber es ist nie was passiert. Unsere Höhlen waren stabil, sie haben gehalten, all die Jahre. Und da haben wir sie gefunden. Blau gefroren und vor Erschöpfung eingeschlafen, aber ansonsten quietschfidel.»
    Es ging ihr wirklich gut. Sie hatte keinen Kratzer abbekommen, war völlig unversehrt, nur traurig, unendlich traurig. «Mattho ist weg», sagte sie. «Ich hatte ihn so lieb, Mutti. Alles, was ich lieb habe, stirbt oder geht einfach weg. Ich werde ihn nie wieder sehen.»
    «Doch», versprach ich, «du wirst. Wir werden ihn besuchen. Nur wir beide.»
    Sie riss die Augen auf, war ganz atemlos vor Freude. «Ehrlich,

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