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Die Mutter

Die Mutter

Titel: Die Mutter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Hammesfahr
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Drei Tage bis dahin, der Freitag hatte doch gerade erst begonnen. Viertel vor neun. Im Geist sah ich Traktoren durchs Feld fahren, eine breit gezogene Kette Lanz und Deuz und Hanomag. Und keiner der Fahrer scherte sich um seine Zuckerrüben oder die Wintergerste.
    Montag! Ich sah Rena auf ihr Rad steigen, die Schultasche im Korb am Lenker. Ich sah sie vor Anne her das asphaltierte Stück Straße bis zum Feldweg hinunterjagen. Die Füße fest auf den Pedalen, die Beine wie Kolben arbeitend. Das Rad legte sich auf die Seite, als sie nach rechts abbog und in unvermindertem Tempo den unbefestigten Weg Richtung Stadt entlangradelte.
    Montag! In zwei oder drei Stunden mussten die Männer sie gefunden haben. In zwei oder drei Stunden wussten wir, dass ihrnichts Schlimmes zugestoßen war. Dass sie in der Dunkelheit nur vom Weg abgekommen und irgendwann so erschöpft gewesen war, dass sie nicht weiter konnte.
    Es war verrückt, so zu denken; Schneewittchen lief und lief, bis ihre Füße sie nicht mehr weitertrugen. Da legte sie sich zwischen die Wurzeln eines Baumes. Und die Tiere des Waldes bewachten ihren Schlaf. Es gab keinen Wald in der Nähe. Aber ich konnte nicht anders denken.
    «Montag läuft alles wie gewohnt», sagte ich.
    Wir gingen zurück in die Küche, setzten uns wieder an den Tisch. Olgert nahm Anne ins Kreuzverhör. «Reden wir nochmal in Ruhe über den ersten Anruf. Wie war das genau? Dieses ‹Rena›, klang es wie eine Frage oder war es nur so gesagt?»
    «Nur so gesagt.»
    «Gut! Und welche Geräusche? Wie klang die Maschine im Hintergrund?»
    «Ein Klackern wie von Holzstücken, die rhythmisch aneinander geschlagen werden.»
    «Könnte es ein Motor gewesen sein?»
    Anne wurde laut. «Woher soll ich das wissen? Jetzt machen Sie doch kein Drama daraus. Da hat sich nur einer einen blöden Scherz erlaubt.»
    Olgert blieb die Ruhe selbst, lächelte besänftigend, bohrte weiter. «Wie klang die Stimme? Männlich oder weiblich?»
    Das konnte Anne nicht mit Bestimmtheit sagen. «Es war doch nur ein Wort. Danach waren es Töne, Weinen, Schluchzen. Es war so, als ob jemand noch etwas sagen will und nicht kann.»
    Helle Töne oder dunkle? Da sei doch ein Unterschied im Weinen eines Mannes oder eines Mädchens.
    Anne starrte ihn betroffen an, nach ein paar Sekunden erklärte sie: «Ich habe noch nie gehört, wie es klingt, wenn ein Mann weint. Aber Rena weint anders. Nicht so», sie brach ab, zuckte hilflos mit den Schultern. «Nicht so gebrochen. Es klang wie jemand, der völligaußer sich ist. Rena weint gleichmäßiger und lauter.» Anne lächelte verlegen. «Mutti hat früher mal gesagt, Rena legt los wie eine Sirene.»
    Olgert murmelte: «Früher», fragte etwas lauter: «Wann haben Sie Ihre Schwester zum letzten Mal weinen hören? Richtig verzweifelt weinen?»
    «Ich weiß nicht», sagte Anne. «Es ist lange her. Wir hatten keinen Grund zu weinen.»
    Olgert trank einen Schluck Kaffee, behielt die Tasse in den Händen, schaute konzentriert in den Kaffee und wollte wissen, ob es häufiger geschah, dass sich jemand am Telefon blöde Scherze mit uns erlaubte.
    «Nein», sagte Vater. «In unserem Bekanntenkreis neigt niemand zu solchen Scherzen. Und Fremde rufen hier nicht an.»
    Olgert nickte. «Dann gehe ich davon aus, dass das eine mit dem anderen zusammenhängt. Uns wurde gesagt, Sie befürchten das Schlimmste. Was ist für Sie das Schlimmste?»
    Niemand antwortete, er sprach weiter. «Dass das Mädchen bei dem Wetter gestern zufällig jemandem über den Weg gelaufen ist, können wir ausschließen. Natürlich gibt es eine Menge freundlicher Autofahrer. Aber im strömenden Regen hört bei den meisten die Freundlichkeit auf, wenn sie auch noch ein Rad verstauen sollen.»
    Er stellte seine Tasse ab, zeigte mit einer Geste, die alles umschloss, durch die Küche. «Das hier sieht nach einer Menge Geld aus.»
    Vater lachte rau und heiser. «Es sieht nicht nur so aus.»
    Nach ein wenig Drumherumgerede sprach Olgert das Wort aus. Entführung!
    «An jedem anderen Tag», sagte Vater. «Aber nicht gestern. Wer so etwas plant, studiert die Gewohnheiten der Leute. Er hätte gewusst, dass Rena bei schlechtem Wetter abgeholt wird.»
    «Wer so etwas plant», widersprach Olgert sanft, «und die Gewohnheitender Leute studiert, ist in der Nähe. Und dann bietet sich ihm eine so günstige Gelegenheit, da greift er zu. Und am nächsten Morgen ruft er an.»
    «Und stellt seine Forderungen», sagte Vater. «Er weint nicht in den

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