Die Mutter
mit ihm in die Diele.
Während Scherer telefonierte, ließ Klinkhammer mich Renas Freunde aufzählen. Da wir Udo von Wirth bereits erwähnt hatten, nannte ich Horst, Armin, Katrin, Tanja und Ilona. Sie lebten alle in der Stadt. Und anzunehmen, dass Rena sich um zehn Uhr abends mit dem Fahrrad auf den Weg dorthin gemacht hatte, war lächerlich. Das fand Klinkhammer auch, er wollte jedoch nicht ausschließen,dass Rena einem von ihnen etwas von ihren Plänen erzählt hatte. Dass sie Pläne gehabt hatte, stellte er als Tatsache in den Raum. Als Beweise dienten ihm die Plastiktüte und Hennessens Bemerkung über das wieselflinke Verschwinden nach meinem Anruf.
Klinkhammer wollte mit Udo von Wirth persönlich reden, die anderen fünf anrufen und wissen, warum wir das nicht schon getan hätten. Weil wir ihre Familiennamen nicht kannten. Keiner von uns kannte sie. Und Klinkhammer starrte uns an wie seltene Tiere.
Anne zerbrach sich den Kopf, ob Armin nun Meurer oder Heuser oder Leuthen hieß. Armin besuchte das Humboldt-Gymnasium, war sogar in Annes Jahrgang, saß allerdings nicht in ihren Kursen. Sie hatte noch nie näheren Kontakt mit ihm gehabt, kannte ihn nur flüchtig durch Rena.
Es spielte keine Rolle, Hennessen musste die Namen wissen. Jürgen verwies auf das Telefon, Klinkhammer winkte ab, auch mit Hennessen wollte er persönlich reden. Und mit Gretchen! Er brach auf. Olgert blieb zurück. Es war mir lieber so.
Olgert wirkte allein durch sein Äußeres kompetenter. Und er schien nicht zu glauben, dass Rena aus freien Stücken verschwunden war. Er bat mich, ihm ihr Zimmer zu zeigen. Wir gingen hinauf, er schaute sich alles an.
Das großformatige Foto neben ihrem Bett. Wo bei Anne ein lachender Patrick stand, war es bei Rena ein Pferdekopf. Mattho, der Teufel. Das Mathematikbuch lag aufgeschlagen auf dem Schreibtisch, ein Block daneben, auf dem ein paar Zahlen und Linien gekritzelt waren. Dann hatte sie doch noch üben wollen!
Über der Stuhllehne vor dem Schreibtisch hing die Jeans, die sie in der Schule getragen hatte. Auf ihrem Bett lag das Sweatshirt. Es lag so, wie sie es ausgezogen hatte, ein Knäuel Stoff, die angeraute Seite nach außen gedreht.
Unter dem Sweatshirt lagen ihre Geldbörse – sie enthielt nur einwenig Kleingeld – und ein Fotoalbum, gefüllt mit Aufnahmen, die irgendwer für sie geschossen hatte. Rena auf Matthos Rücken, den braunen Hals tätschelnd und in die Kamera lachend. Rena beim Striegeln im Stall, mit der linken Hand einen Vogel zeigend. Rena mit einem Sattel über dem Arm neben der Fuchsstute. Rena, den Apfelschimmel am Zügel über Hennessens Hof zum Stall führend. Rena, den Kopf an den Hals der Araberstute gelegt. Rena, auf der Koppel neben dem Wassergraben sitzend und sich den Fußknöchel reibend, hinter ihr ein nervös tänzelnder Mattho. Von wegen, er hat mich noch nie abgeworfen. Rena und Pferde, Pferde, Pferde.
«Sie hatte wohl noch nichts im Sinn mit Jungs?», stellte Olgert fest. Ich schüttelte den Kopf. Er wollte wissen, wo Rena ihren Pass aufbewahrte. In der Geldbörse! Da war er nicht. Ich suchte eilig in ihrer Schultasche, auch nichts.
Olgert zeigte auf das Foto. «Ist das der Bursche, von dem sie sich unbedingt verabschieden wollte?»
Ich nickte.
«Schönes Tier», meinte er.
Bis dahin hatte ich keine drei Sätze über die Lippen gebracht, endlich gehorchte die Zunge. «Sie hat zu ihrem Geburtstag am Sonntag ein eigenes Pferd bekommen. Eine junge Stute, auch ein sehr schönes Tier.»
Er nickte anerkennend. «Reiten ist ein teures Hobby, was?»
«So teuer nun auch wieder nicht.»
Er grinste. «Es ist alles relativ. Ein eigenes Pferd. Wie viele Reitstunden hatte sie pro Woche?»
«Nur eine, aber sie war jeden Tag im Stall. Ihr war dort keine Arbeit zu viel oder zu schmutzig. Hennessen sagte einmal, eigentlich müsse er sie bezahlen.»
«Da hätte er sie aber auch einmal heimfahren können, oder meinen Sie nicht?»
«Das hat er noch nie getan. Er konnte wohl auch die verletzte Stute nicht allein lassen.»
«Aber das hat er getan», sagte Olgert sehr ernst und ging zum Kleiderschrank.
Auf der einen Seite Jeans, Jeans, Jeans, auf dem Bord darüber zwei Stapel mit Sweatshirts und zwei mit T-Shirts , ein Häufchen Socken in einem Korb, daneben Renas Unterwäsche. Auf der anderen Seite die Winterjacke und der leichte Blouson für die Übergangszeit. Auf einem Bügel das Kleid, das ich ihr im Vorjahr gekauft hatte, in der Hoffnung, sie möge es zu
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