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Die Mutter

Die Mutter

Titel: Die Mutter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Hammesfahr
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ersten Tage sind die schlimmsten. Plötzlich hat das Leben ein Loch. Innerhalb kürzester Zeit bricht alles auseinander. Man hat nicht Hände genug, es zusammenzuhalten. Und wenn man nicht gelernt hat, sich die Stirn an Bordsteinkanten aufzuschlagen, kratzt man sich nur die Seele wund und erstickt an den blutigen Krusten im Innern. Es gibt auch später Momente, in denen der Verstand aussetzt, in denen es einfach zu viel wird. Aber am Anfang   … Man ist nicht vorbereitet. Es trifft und es lähmt.
    Die letzten Stunden der Nacht waren ein Knäuel von Bildern, chaotisch und konfus. Es konnte eine von Angst hochgeschaukelte Phantasie, es konnte auch die Nachwirkung der Tabletten sein. Ich wusste nicht, wie viele von den schweren Geschützen Jürgen mir eingeflößt hatte. Aber ich wusste, wenn diese Nacht vorbei ist, ist Montag. Der Tag, auf den ich mich eingestellt, von dem ich gedacht hatte, ich müsse sie morgens zur Schule radeln sehen. Und sie war nicht da. Es war der Schock – wie ein Stromstoß   –, der mich wachrüttelte und mir half, das Teufelszeug auszuschwitzen und den roten Nebel aus dem Hirn zu vertreiben.
    Kurz vor sechs stand ich auf und ging hinunter. Es war still im Haus, sie schliefen noch alle. Ich stank nach Schweiß und fühlte das Haar wie mit Margarine verkleistert auf der Kopfhaut kleben. Das sind die Momente, in denen man sich nach einer erfrischenden Dusche sehnt. Aber so viel Energie hatte ich noch nicht. Ich wollte auch Jürgen nicht mit Wasserrauschen aufwecken, verschob die Dusche auf später und benutzte das Gästeklo im Erdgeschoss.
    Die Tageszeitung steckte bereits im Kasten an der Haustür. Normalerweise wurde sie später gebracht. Ich nehme an, der Zusteller hatte seine Tour an diesem Morgen bei uns begonnen, weil ein schöner, großer Artikel über uns im Lokalteil war. Ich saß davor und betrachtete Renas Foto, las die fette Überschrift zum dritten Mal, «Arzttochter vermisst», als Jürgen in die Küche kam.
    Der Artikel gab nicht viel her. Haarfarbe, Augenfarbe, Alter, Größe und eine Beschreibung der Kleidung. Ein kleines Foto von Hennessens Anwesen und dazu die Notiz: «Wurde zuletzt gesehen, als sie den Pferdestall verließ.» Und ich hätte geschworen: Sie hat ihn nicht verlassen! Nicht lebend!
    Ich hatte Kaffee gemacht und bei der ersten Tasse darüber nachgedacht, wie ich es beweisen könnte, wenn die Polizei sich für dumm verkaufen ließ. Bei der zweiten Tasse versuchte ich, mich in Hennessens Lage zu versetzen. Leiche, Rad und Plastiktüte sind im Kombi verstaut, wohin fahre ich jetzt? Wo kann ich das alles loswerden? Wo wird die Leiche so schnell nicht gefunden? Wie kann ich die Polizei auf eine falsche Fährte bringen?
    Jürgen nahm mir die Zeitung weg. Wir hatten eine Viertelstunde für uns. Er wollte sie nutzen, mir einzuschärfen, ich müsse mich bei Mutter für meinen Angriff entschuldigen.
    «Ich denke nicht daran.»
    «Vera, werd nicht ungerecht. Du kannst ihr nicht die Schuld geben. Das ist hirnverbrannt. Es gibt hier keinen Schuldigen. Du weißt, wie Rena ist, wenn sie sich etwas in den Kopf gesetzt hat. Und du hast gehört, was deine Mutter sagte. Wenn sie geahnt hätte, dass Mattho am Donnerstag abgeholt   …»
    «Bleib mir mit dem Gaul vom Leib», fiel ich ihm ins Wort. «Ich kann es nicht mehr hören. Wenn du zu feige bist, dich den Tatsachen zu stellen, klammere dich von mir aus daran. Aber verlange nicht von mir, dass ich es auch tue.»
    Er hatte sich Kaffee nehmen wollen, die Kanne bereits in der einen und die Tasse in der anderen Hand. Er stellte die Kanne ab,ohne die Tasse gefüllt zu haben, schaute mich an wie der Professor im Examen. «Welchen Tatsachen stellst du dich denn, Vera? Dass Hennessen sie ermordet hat? Spinn doch nicht rum.»
    Ich antwortete nicht. Er nahm die Kanne erneut hoch, füllte seine Tasse, kam zum Tisch, setzte sich mir gegenüber und ließ einen gequälten Seufzer hören. So macht man einem trotzigen Kind auf liebevolle Weise klar, dass es mit seinem sturen Kopf nur die Nerven seiner Umgebung strapaziert. Sein Ton tat noch einiges dazu. «Vera! Ich bitte dich! Sei vernünftig. Sie hat vor ein paar Stunden hier angerufen.»
    Er ließ nicht an seiner Überzeugung rütteln, dass Rena am Telefon gewesen war, räumte nur ein: «Na schön, sie hat nicht mit mir gesprochen. Vielleicht habe ich es falsch angepackt. Ich hätte sie nicht anschreien dürfen. Aber dieses Heulen hat mir den letzten Nerv geraubt. Beim nächsten Mal

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