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Die Mutter

Die Mutter

Titel: Die Mutter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Hammesfahr
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Hunger nicht einschlafen kann, das auch begreifen! Du hast keine Ahnung, wie es war, Vera.»
    Doch, die hatte ich. Keine Ahnung vom Krieg, aber vom Donnerstag. Befehl von oben. Frau General kommandiert: «Du wirst nicht zum Reitstall fahren, Dolf! Das sehe ich nicht ein. Wenn sie meinen, dass ihr Töchterlein unbedingt reiten muss, sollen sie auch zusehen, wie sie zum Stall und wieder zurückkommt.»
    Mutter hatte Rena nie gemocht. Anne war nach ihrem Geschmack. Anne mit den guten Schulnoten und dem frisch gewaschenen Gesicht. Anne mit ihrem «Ja, Großmutter. Natürlich, Großmutter. Du hast völlig Recht, Großmutter.» Anne mit dem blitzsauberen Freund und den tollen Zukunftsplänen. Medizin wie Papa, was sonst? Der Numerus clausus ist für mich kein Problem. Ich mache das Abi mit Eins. Anne mit der ordentlichen Frisur und den unlackierten Fingernägeln. Anne mit dem bei Großmutter abgeschauten Ordnungsfanatismus. Rena zog ein Sweatshirt aus und ließ es auf dem Bett liegen. «Ihr Zimmer sieht wieder aus wie ein Schweinestall. Kannst du das Kind nicht zur Ordnung erziehen, Vera?»
    «Was hast du dir dabei gedacht!?», schrie ich. «Du hast sie auf dem Gewissen, du!»
    Vater zuckte zusammen. Jürgen war mit zwei Schritten nebenmeinem Sessel, legte mir eine Hand auf die Schulter. Er rief nach einem Glas Wasser, kramte in seiner Hosentasche nach einem neuen Geschoss. Als er mir die Pille zwischen die Lippen stecken wollte, schlug ich seine Hand zur Seite. «Friss deinen Scheiß selbst.»
    Mutter kam mit dem Wasserglas ins Zimmer, tadelte mit Augen und Stimme gleichzeitig: «Vera!»
    Und ich schrie weiter. «Es ist deine Schuld!» Es tat weh, kein greifbarer Schmerz, aber ich verglühte daran. «Dir war sie immer ein Dorn im Auge, weil sie es wagte, dir zu widersprechen. Weil sie Rückgrat hatte und es sich von dir nicht brechen lassen wollte. Ich wünsche, ich hätte einmal so viel Courage gehabt wie sie. Ich will mein Kind wiederhaben.»
    Jürgen brachte mich nach oben. Er saß noch eine Weile auf der Bettkante, erzählte immer denselben Quatsch. «Es ist ihr nichts passiert. Sie meldet sich, sobald ihr Geld zur Neige geht.»
    Daran hielt er sich fest. Den Sonntag! Keine Ahnung, was am Sonntag war. Ich lag im Bett. Anne brachte mir morgens einen Tee und mittags einen Teller Suppe. Und in der Nacht zum Montag klingelte das Telefon.
    Es riss mich aus dem Wohnzimmer, wo ich mit Vater über die Lösegeldforderung verhandelte. «Du hast doch noch die Inhaberschuldverschreibungen.»
    «Ich denke nicht daran, sie zu verkaufen! Vera, sei vernünftig, so etwas überlässt man der Polizei. Es wäre ein großer Fehler, diese Verbrecher auch noch zu bezahlen.»
    «Vater, es geht um Renas Leben.»
    Er lachte. «Bei euch geht es immer um Leben und Tod. Wenn dein Mann die Finger zusammenhalten   …»
    «Ich zahle es dir zurück, Vater.»
    «Wann? Und womit? Nach meinem Tod? Mit deinem Erbe? Da muss ich dich enttäuschen. Was ich dir hätte vererben können, habe ich in dieses Haus gesteckt. Einen kleinen Notgroschenmöchte ich behalten. Ich möchte nicht eines Tages in einer Pappschachtel liegen, weil kein Geld für einen anständigen Sarg da ist.»
    Und dann dieses Geräusch. Im Traum hatte ich darauf gewartet, vielleicht war ich nur deshalb auf der Stelle hellwach. Aber ich war nicht schnell genug. Jürgen hatte den Hörer am Ohr, bevor ich mich aufrichten konnte. «Rena? Verdammt nochmal, Rena, was soll dieser Unsinn?»
    «Gib her», sagte ich. «Lass mich reden.»
    Er winkte heftig ab. «Halt den Mund, Vera.» Und in den Hörer: «Es reicht jetzt, Rena, hör auf zu heulen. Du sagst mir auf der Stelle, wo du bist. Wir holen dich ab.» Dann nahm er den Hörer vom Ohr und starrte ihn ungläubig an. «Aufgelegt», murmelte er. «Sie hat einfach aufgelegt.»
    «Bist du sicher, dass sie es war?»
    «Wer soll es denn sonst gewesen sein?»
    Ob wir danach noch schliefen? Ich nicht! Ich hatte zwei Tage im Pillenrausch verschlafen, spürte den Nebel noch in den Knochen und im Hirn. Es fiel schwer zu denken, aber es war nicht mehr unmöglich, nur noch wirr. Angst, dieses kaltklamme Gefühl im Innern, wie Vorwärtskriechen im Schlamm. Noch einmal den Feldweg entlang. Durch das Wasser auf der Hauptstraße schwimmen. Hochgedrückte Kanaldeckel, gähnende Löcher, in denen das Wasser im Wirbel verschwand. Und junge Feuerwehrmänner. Und Rena. Wenn sie durchs Dorf gegangen war, trieb sie jetzt vielleicht durch die Rohre.

5.   Kapitel
    Die

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