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Die Mutter

Die Mutter

Titel: Die Mutter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Hammesfahr
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Wasser auf der Straße und ein Dutzend Feuerwehrmänner gewesen, an denen sie hätte vorbeifahren müssen. Nur war es zu mühsam, ihm das zu erklären. Es hätte auch nur weitere Belehrungen und Beschwichtigungen zur Folge gehabt. Er griff mir unters Kinn. «Jetzt bist du vernünftig, ja? Du musst schlafen. Komm, ich bring dich nach oben.»
    Ich wollte nicht ins Bett, aber er brachte mich hinauf, ließ mirein Bad ein. Und wenn ich in der Küche noch gedacht hatte, ich müsse sie hassen – alle, wie sie da um den Tisch saßen und ihre Würstchen aufspießten. Guten Appetit, uns passiert so etwas nicht. Ich müsste sie hassen für ihre Blindheit, ihre Ignoranz. Hassen, weil sie sich von den Phrasen eines arbeitsscheuen Polizisten einlullen ließen. Es war doch eine Kleinigkeit, ein Fahrrad in einem Kombi zu verstauen und es zum Bahnhof zu bringen   –, als ich in die Wanne stieg, hasste ich nur mich. Für die Watte im Hirn, für die blutenden, brennenden Füße, die Schwäche in der Herzgrube, für die Unfähigkeit, mit der Faust auf den Tisch zu schlagen.
     
    Jürgen saß auf dem Wannenrand und tupfte mir mit einem Büschel Kosmetiktücher den Schweiß von der Stirn und die Tränen aus den Ohren. «Ganz ruhig», sagte er. «Hörst du mir zu?»
    Er erzählte mir von dem Geld im Brustbeutel. Fünfhundert Mark! Das Geburtstagsgeschenk von Gretchen an ihre Enkeltochter. Rena hatte um Bargeld gebeten. Den Polizisten gegenüber hatte Jürgen es nicht erwähnt, Anne hatte ebenfalls den Mund gehalten. Jürgen hatte auch Gretchen gebeten zu schweigen. Weil er befürchtete, dass die Polizei nichts mehr tat, wenn sie es erfuhren. Weil wir allein nicht die Möglichkeit hatten, Rena in einer Großstadt wie Hamburg oder gar in England ausfindig zu machen.
    «Wir müssen warten, Vera.» Und ich dachte, er will mich auf Trab bringen. Er will, dass ich aus dem Wasser springe, mich abtrockne, ankleide, aus dem Haus stürme, in den Wagen springe. Und wohin dann?
    Draußen! Ein neues Wort, das mich um den Verstand brachte. Draußen ist groß. Draußen ist alles um einen Nadelstich herum. Irgendwo da draußen. «Wir müssen warten, Vera. Sie wird sich früher oder später melden, spätestens dann, wenn ihr das Geld ausgeht.»
    Daran hielt er fest. Den Samstag! Wir saßen herum. Niemand wagte sich ins Freie aus Angst, den entscheidenden Anruf zu verpassen.Ich wäre gerne hinausgegangen, um nach einer Bordsteinkante zu suchen. Aber zwei Blasen an meinem rechten Fuß hatten sich entzündet. Und Jürgen gab mir eine Tablette zum Frühstück, weil ich nicht aufhören konnte, von Hennessen zu sprechen. Eine andere Tablette als am Freitag, eine von den Bomben, die im Gehirn explodieren und alles in grauen Einheitsbrei verwandeln.
    Der Tag rauschte an mir vorbei. Mutters Bemühungen, den normalen Alltagstrott aufrechtzuerhalten. Frühstück, Tisch abräumen, Betten machen, Staub wischen. Vaters zaghafte Versuche, mit mir zu reden. Die Scham und das Unbehagen in seinen Augen. Annes Besorgnis: «Wie fühlst du dich, Mutti?»
    Wie ein Insektenforscher mit der Lupe vor einem Ameisenhaufen. Krabbelt nur fleißig, ihr Tierchen, was immer ihr tut, es ist umsonst. Wenn ich den Fuß hebe, gibt es euch nicht mehr. Ich bin der Tod. Ich konnte den Fuß nicht heben. Die Explosion im Hirn hatte ihn mit Trümmern gefüllt.
    Von der Polizei ließ sich keiner blicken. Um elf klingelte das Telefon zum ersten Mal. Jürgen stürzte in die Diele, riss den Hörer von der Gabel. Mutters Hand mit dem Staubtuch hielt mitten in der Bewegung inne, ihre Miene spannte sich. Mir kam es vor, als hielte Vater den Atem an.
    Dann die Enttäuschung auf Jürgens Gesicht. «Es ist Patrick, Anne», rief er zur Treppe hinüber: «Ich stelle um. Aber mach nicht zu lange.»
    Um zwei kam der nächste Anruf. Vaters treu ergebener Diener Steinschneider erkundigte sich, wie die Dinge standen, und versicherte, seine Männer täten alles in ihrer Macht Stehende. Seine Männer! Einer von ihnen rief kurz danach an. Es muss Olgert gewesen sein, er war dafür zuständig, aus riesigen Blutlachen einen Regenbogen zu basteln.
    Jürgen sprach ein paar Minuten mit ihm. Dann saß er mir gegenüber und erzählte von einer Rennbahn, bei der die Polizei in Hamburg jetzt nachforschte. Der Transporter hätte ein HamburgerKennzeichen gehabt. Also müsse Rena davon ausgegangen sein, dass Mattho nach Hamburg verkauft worden sei. Und das Zugpersonal wollten sie befragen. Irgendeiner musste sie gesehen haben

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