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Die Mutter

Die Mutter

Titel: Die Mutter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Hammesfahr
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eine neue Kraft für die Praxis. Dann könnte ich daheim bleiben und mich um Vater kümmern.
    Ich hielt es nicht aus, ließ ihn sitzen, ging in unser Bad, ließ Wasser in die Wanne, zog mich aus. Die Wärme löste den Knoten.Ich konnte weinen. Ich wusste nur nicht, um wen. Um Rena? Um das kleine, schwache, schnaufende Bündel Mensch, das Jürgen mir damals auf den Bauch gelegt hatte. Das mich in seinen ersten Lebensmonaten glauben ließ, ich hätte ihm mit meinen Versuchen, es loszuwerden, die Chance auf ein normales Leben genommen. Das sich wider Erwarten zu einem nicht behinderten Kind entwickelte. Das nun anscheinend alles daransetzte, sein Leben doch noch zu ruinieren.
    Oder um Vater? Der damals zu mir gesagt hatte: «Vera, als du deinen Mann das erste Mal verlassen wolltest, war es nur ein Kind. Jetzt sind es zwei. Denk nicht, es wäre einfach, zwei Kinder allein aufzuziehen. Überlege dir gut, was du tun willst. Und denk auch ein bisschen an uns dabei. Ich weiß nicht, wie deine Mutter sich zu einer Ehescheidung stellt. Wenn Jürgen dich betrügen würde, das würde sie verstehen, aber so   … Wenn du bei ihm bleibst, Vera, ich helfe dir, so gut ich kann.»
    Das Wasser war zu heiß. Ich durfte mich nicht bewegen, dann war es erträglich. Ich bewegte mich nicht, wischte auch die Tränen nicht ab, obwohl sie auf den Wangen juckten. Ein paar Minuten lang war es völlig still. Dann hörte ich Jürgens Schritte auf der Treppe.
    Er kam ins Bad, blieb bei der Tür stehen, als wisse er nicht, ob er näher kommen durfte. Als ich ihn weder anbrüllte noch mit dem Finger auf die Tür zeigte, kam er langsam zur Wanne, stand noch sekundenlang daneben und setzte sich auf den Rand. «Es tut mir Leid», sagte er.
    «Was?»
    «Dass ich nicht der Mann bin, den du jetzt brauchst.»
    «Woher willst du wissen, was ich jetzt brauche?»
    Er grinste verlegen. «Ich weiß es, Vera. Nach zwanzig Jahren weiß man eine Menge. Mach dir nicht zu viele Sorgen um deinen Vater. Er ist zäh und hat einen eisernen Willen. Er wird so lange mit seinen Händen arbeiten, bis er zumindest die linke wiederrichtig bewegen kann. Und seine Stimme – vielleicht ist es nur eine vorübergehende Erscheinung.»
    Wie am Freitag zupfte er ein paar Kosmetiktücher aus der Box über dem Waschbecken, wischte mir den Schweiß und die Tränen ab.
    «Du solltest nicht so heiß baden. Es ist nicht gut.»
    «Ich bin doch nicht schwanger.»
    Er stutzte, schüttelte bedächtig den Kopf. «Nein, Vera! Was geht nur in deinem Kopf vor? Lass doch die alten Geschichten. Du warst nicht die erste und bist nicht die einzige Frau, der eine Schwangerschaft einen Schock versetzte. Und jetzt komm raus hier, bevor dir übel wird. Du brauchst ein paar Stunden Schlaf.»
    Mir war schwindlig vom heißen Wasser. Er half mir aus der Wanne, brachte mich nach nebenan. Ich legte mich ins Bett, hörte ihn noch eine Weile im Bad rumoren. Dann kam er ins Schlafzimmer.
    «Schläfst du schon?»
    «Nein.»
    «Willst du eine Tablette nehmen?»
    «Nein.»
    «Ich muss nochmal runter. Ich habe vergessen, das Telefon umzustellen.»
    Er kam nicht zurück und ich konnte nicht einschlafen. Mir war heiß, mein Kopf dröhnte, ich begann zu schwitzen. Nach einer halben Stunde ging ich hinunter. Er saß im dunklen Wohnzimmer auf der Couch und drehte sein leeres Glas in der Hand.
    «Es ist noch zu früh für mich», sagte er, klopfte mit einer Hand auf die Couch. «Komm her.»
    Ich setzte mich neben ihn. Er legte mir einen Arm um die Schultern. «Du kannst ja morgen früh ins Krankenhaus fahren.»
    «Ich muss doch am Telefon bleiben.»
    «Scheiß drauf», sagte er. «Vielleicht kommt sie zur Vernunft, wenn niemand mehr abhebt und sie sich fragen muss, was hier losist.» Er schwieg sekundenlang, fuhr fort mit einer Stimme, die vor Zorn bebte. «Wir machen es jetzt so, wie Klinkhammer es am Freitag vorschlug. Hier wird kein Gespräch mehr angenommen, ehe nicht ein Aufzeichnungsgerät an der Leitung hängt. Und wenn es dranhängt, hören wir erst, wer etwas von uns will, ehe wir abheben.»
    Danach sprachen wir nicht mehr viel. Es war zu still im Haus für eine Unterhaltung. Kein Wagner aus dem ersten Stock, gegen den wir hätten anbrüllen können. Nach elf gingen wir hinauf. Jürgen stellte das Telefon nicht um. Es kam auch kein Anruf. Wenn es in der Diele geklingelt hätte, ich hätte es gehört.
    Ich schlief nicht gut, tauchte für ein paar Minuten weg, war mit einem Schlag wieder hellwach, hatte einen Satz

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