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Die Mutter

Die Mutter

Titel: Die Mutter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Hammesfahr
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bleiben.»
    «Nein, fahr nur.»
    Patrick erschien kurz darauf. Anne vergewisserte sich noch einmal, dass ich nichts dagegen hatte. An der Haustür sagte sie: «Wir schauen bei Großvater vorbei und gehen heute Abend vielleicht ins Kino. Mach dir keine Sorgen, wenn es etwas später wird.»
    Sorgen? Um Anne hatte ich mir nie ernsthafte Sorgen machen müssen. Um Rena auch nicht mehr in den letzten beiden Jahren. Stark und mutig, hatte ich oft gedacht, einfühlsam, warmherzig, unabhängig. Ein junges Mädchen, das eine nörgelnde Großmutter ignorierte. Das sich selbst half, indem es aus der stolzen Helene ein unscheinbares Lenchen machte. Das nicht für jede Kleinigkeit zur Mutter rannte wie Anne. «Jetzt sieh dir das mal an, Mutti. Ich habe mich am Arm gestoßen. Das tut höllisch weh. Meinst du, es gibt einen blauen Fleck?»
    Bei Rena musste ich fragen: «Was hast du da am Arm? Das sieht ja schlimm aus.»
    Rena winkte ab. «Das ist nichts. Hennessen hat Mattho einen Klaps gegeben, weil er so übermütig war. Da hat er sich erschrocken und nach mir geschnappt.»
    «Er hat dich gebissen?»
    «Das war doch nicht gebissen. Mattho beißt nicht.»
    Ein junger Mensch voller Pläne war sie. Und ihre Pläne hatten nichts mit Weltschmerz zu tun. «Weißt du, was ich mir überlegt habe, Mutti? Ich könnte Tierpflegerin werden. Das würde mir Spaß machen. Da bräuchte ich auch kein Abitur. Ich könnte mir die letzten zwei Jahre Schule sparen und ich würde auch schon eher einbisschen Geld verdienen. Ich werde versuchen, in den Ferien einen Praktikumsplatz zu kriegen. Im Zoo! Kannst du dir vorstellen, wie ich Seehunde füttere?»
    Wann hatte sie mich das gefragt? Ich wusste es nicht mehr. Ich sah es nur vor mir. Sie saß an ihrem Schreibtisch, zeichnete Seehunde in eines der kleinen Hefte, in denen sie die Hausaufgaben notieren sollte. «Udo sagt, er kennt da einen. Ich soll mich nicht schriftlich bewerben. Ich soll mich lieber persönlich vorstellen. Wir könnten mal hinfahren in den nächsten Tagen.»
    «Das hat doch noch Zeit.»
    Sie zeichnete einen kleinen Affen unter die Seehunde. «Ich würde es aber lieber bald machen, Mutti. So viele Praktikanten nehmen sie bestimmt nicht. Du brauchst dich auch gar nicht darum zu kümmern. Udo wird mich hinfahren. Er hat’s angeboten.» Sie lächelte zu mir hoch und sagte: «Den eigenen Reitstall kriege ich wahrscheinlich nie. Und Tierpflegerin wäre nicht schlecht.»
    Jürgen kam um sieben heim. Er hatte einen Anrufbeantworter gekauft, der nicht automatisch abschaltete, wenn man den Hörer abnahm. Er funktionierte wie ein Tonband, zeichnete das gesamte Gespräch auf. Jürgen verbrachte eine Viertelstunde mit der Bedienungsanleitung im Esszimmer, sprach ein paar Worte auf das Band, nur unsere Rufnummer.
    «Willst du keinen Namen nennen? Oder wenigstens die Vorwahl? Warum sagst du nicht: Hinterlassen Sie uns Ihre Nummer, wir rufen so bald wie möglich zurück?»
    Er grinste böse. «Weil Telefonzellen mit Rufnummern extrem selten sind. Wer hier anruft, kann anhand der Nummer feststellen, ob er sich verwählt hat. Das reicht.»
    Es rief niemand an. Nicht an dem Abend. Nicht in der Nacht. Nicht am Mittwoch und nicht am Donnerstag. Die erste Woche war um und ich hatte den Verstand nicht verloren.
    Ich hatte nur viel Zeit mit ihren Gedanken, Gefühlen, mit ihrem Zorn, ihrem Schmerz, ihrer Trauer verbracht. Das letzte Tagebuch,das mir die endgültige Gewissheit hätte geben können, hatte Olgert nicht abgeliefert. Es fehlten noch mindestens zwei weitere. Eine Zeitspanne, die das letzte halbe Jahr abdeckte, blieb mir verschlossen. Aber es reichte auch so.
    Die ersten Wochen nach unserem Umzug waren eine Katastrophe für sie gewesen. Sie fühlte sich abgeschnitten vom Rest der Welt, weggerissen von den Menschen, denen sie etwas bedeutete. Es war nicht so, dass sie Nita und die anderen unbedingt gebraucht hätte, es war eher umgekehrt.
    Beim Lesen hatte ich manchmal den Eindruck, dass sie Nita bedauerte, dass sie sich bemühte, ihr etwas zu geben, was Nita sonst bei niemandem fand. Dann kam die Wende, das Fohlen auf der Weide und Hennessens Ansichten über das Leben im Allgemeinen und das junger Leute im Besonderen.
    Durch Hennessen lernte sie, Nita distanzierter zu sehen. Nur unwichtig, wie ich mir eingebildet hatte, war Nita nie geworden. Ich glaubte, ein Schuldgefühl zwischen den Zeilen zu erkennen. Rena hatte sich zeitweise als Verräterin gesehen, weil sie sich für ein Pferd

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