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Die Mutter

Die Mutter

Titel: Die Mutter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Hammesfahr
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haben, orientierte mich nur am Tagesdatum. Ich schlug das dritte auf, das vierte, das fünfte. Die vertraute Schrift sprang mich an. Und mit einem Mal wurden Nita Kolter und ihre Sünden in der Vergangenheit zur Nebensache.
    Der elende Mistkerl hat mich hereingelegt. Wochenlang hält er mich hin mit einer Hormonstörung. Ich solle mich nicht verrückt machen, es könne nichts passiert sein. Er wusste, dass es passiert war. Er wollte nur verhindern, dass ich rechtzeitig etwas unternehme. Jetzt ist es zu spät. Was mache ich nun? Ich will es nicht.
    Als Jürgen heimkam, saß ich noch auf Renas Bett. Die Bücher lagen wieder im Nachttisch, bis auf das eine. Das hielt ich im Schoß. Jürgen kam nicht herauf, rief nur nach mir. Als ich ihm antwortete, ging er in die Küche.
    Ich fand Zeit, das Buch in unser Schlafzimmer zu bringen und es in meinen Nachttisch zu legen. Bevor ich hinunterging, schaute ich nach Anne. Sie schlief noch. Ich weckte sie. Sie war verwirrt, glaubte, es sei Morgen, warf einen Blick auf die Uhr und fuhr in die Höhe. «Mist, ich hab verschlafen!»
    Es war acht vorbei. Ich hatte nicht gemerkt, wie die Stunden vergangen waren. Annes Gesicht war vom Schlaf und den Tränen verquollen. Sie bemerkte ihren Irrtum, strich mit einer Hand ihr Haar zurück. Die Geste erinnerte mich an Klinkhammer.
    «Ich hab was Blödes geträumt», murmelte Anne. «Wir waren im Freibad. Rena ritt auf dem Apfelschimmel übers Wasser. Sie gingen nicht unter. Patrick sagte: ‹Da ist doch ein Trick dabei.› Er zog einen Pfeil aus der Badehose und warf. Da ging dem Pferd die Luft aus, es war nur aufgeblasen. Rena ging unter und kam nicht mehr hoch. Es war unheimlich.» Anne schüttelte sich und stand auf. «Ich wasche mir mal durchs Gesicht, dann komme ich runter.»
    Jürgen hantierte an der Kaffeemaschine, als ich in die Küche kam. Auf der Spüle standen immer noch der halb gefüllte Topf und die Schüssel mit dem Rosenkohl. «Du hast wohl nicht ans Kochen gedacht», stellte er fest. Er war wesentlich ruhiger.
    «Nein, es tut mir Leid, ich   …»
    «Schon gut, Vera», unterbrach er mich. «Du brauchst dich nicht zu entschuldigen. Wir essen ein paar Brote, es ist noch genug Aufschnitt da.» Er ging zum Kühlschrank.
    «War viel zu tun in der Praxis oder warum bist du so spät?»
    «Ich war noch im Krankenhaus.»
    Vater war kurz bei Bewusstsein gewesen. Er hatte Jürgen unbedingt etwas sagen wollen, jedoch nur ein paar gurgelnde Laute hervorgebracht. Und etwas aufschreiben – seine rechte Hand war gelähmt, auch über die linke fehlte ihm die Kontrolle. Mutter hatte erklärt, was geschehen war.
    Ein Anruf um halb zwölf! Sie brüllte so lange, bis Vater in die Diele kam und den Hörer abnahm. Er horchte, schrie: «Nein!» Dann brach er zusammen.
    Jürgen entschuldigte sich bei mir. Bis zu dem Anruf sei Vater in Ordnung gewesen, hatte Mutter gesagt. Sie hätte zweimal nach ihm geschaut, nachdem ich das Haus verlassen hatte. Beim ersten Mal schlief er. Beim zweiten Mal verlangte er nach einem Frühstück. Das Nasenbluten hatte aufgehört, das Kribbeln im Arm ebenso, und auf die Frage: «Wie geht es deinem Kopf?», antwortete er: «Besser.» Mutter war in die Küche gegangen, um ihm das Frühstück zu machen. Und da klingelte das Telefon.
    Anne kam herein und begann den Tisch zu decken. «Tut mir Leid, Papa. Ich bin eingeschlafen, sonst hätte ich gekocht.»
    «Jetzt entschuldige du dich nicht auch noch», sagte Jürgen. «Ich muss mich entschuldigen, dass ich so rumgebrüllt habe heute Mittag.» Er schaute mich an. «Ich werde mich morgen erkundigen, wie es mit einem Aufzeichnungsgerät aussieht. Und was man unternehmen muss, damit die Leitung überwacht wird.»
    «Ich glaube, das muss die Polizei veranlassen», meinte Anne.
    «Die tun aber nichts mehr, verlass dich drauf. Für die ist der Fall abgeschlossen. Rena ist sechzehn. Wenn sie sechs wäre, sähe die Sache anders aus. Aber so. Mit Freunden unterwegs!» Er schüttelte den Kopf und setzte sich an den Tisch.
    Abendessen zu dritt. Ich brachte kaum einen Bissen hinunter. Jürgen spekulierte über den Anruf, der Vater zum Verhängnis geworden war. Er schloss die beiden, die Anne und er entgegengenommen hatten, in seine Überlegungen ein. Was ihn betraf, war er immer noch sicher, dass Rena ihm in der Nacht etwas vorgejammert hatte. Aber bei Vater musste ein anderer in der Leitung gewesen sein. Von ein bisschen Geheule, meinte Jürgen, wäre Vater nicht aus den Pantoffeln

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