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Die Mutter

Die Mutter

Titel: Die Mutter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Hammesfahr
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Baby als Gesprächspartner, schmutzige Windeln im Bad, Spielzeug auf dem Berberteppich in der Diele. Flecken von Möhren und Kekskrümel auf der Couchgarnitur. Ab und zu eine Mahnung im Briefkasten. Zu Mittag einen Suppenwürfel und zur Unterhaltung am Abend Peter Alexander oder ein Stündchen mit Rudi Carrell.
    Jürgen machte Dienst und Dienst und Dienst, hier noch ein kleiner Eingriff und da noch eine Geburt. Punkte sammeln für den Facharzt. In seiner knapp bemessenen Freizeit verschaffte er dem Wagen die nötige Bewegung, damit die Zylinder nicht einstaubten. «Kommst du mit, Vera?»
    «Ich kann das Baby nicht allein lassen.»
    «Mein Gott, sie schläft. Und so aktiv, wie sie tagsüber ist, wacht sie bestimmt nicht auf. Was soll schon groß passieren? Nur ein Stündchen, Vera. Du musst doch auch mal raus.»
    Aber nicht auf die Straße, verdammt! Unter ‹raus› stellte ich mir etwas anderes vor, als in einem neuen BMW nutzlose Fahrten zu absolvieren und dabei festzustellen: «Ach, ich muss ja tanken. Hast du Geld eingesteckt, Vera?»
    Wenn er ausnahmsweise einmal daheim war, schlief er im Sitzen ein, erwachte irgendwann in der Nacht, kroch zu mir ins Bett und entsann sich, dass eine junge Frau gewisse Bedürfnisse hat und er der Fachmann auf diesem Gebiet war.
    Ich hatte den Schock, den der Lebenswandel seiner Mutter mir versetzt hatte, noch nicht völlig überwunden, und spielte mit dem Gedanken, ihn zu verlassen. Diesmal wirklich, nicht so halbherzig wie am Morgen nach unserer Hochzeit. Da hatte Vater mich nach stundenlangem Für und Wider mit einem einzigen Satz zurückhalten können: «Natürlich verstehe ich, dass du dich betrogen fühlst, und wenn du lieber weiterstudieren willst   …»
    Das wollte ich nicht. Es war nicht das Richtige für mich gewesen. Medizin! Klingt hübsch, wenn man davon spricht, kranken Menschen helfen zu wollen. Aber es ist weniger hübsch, ein formalingetränktes Körperteil in seine Bestandteile zu zerlegen. Und es ist widerlich, die diversen Körpersäfte auf weiß der Teufel was zu untersuchen.
    Die Frage nach dem Studium erübrigte sich inzwischen. Ich hatte ein überaus lebhaftes Kind zu versorgen. Ich wollte meine Eltern vor vollendete Tatsachen stellen. Zum Anwalt gehen und dann sagen: «Ich habe die Scheidung eingereicht.»
    Und da passierte es!
    Es war Absicht, davon bin ich noch immer überzeugt. Er muss gespürt haben, mit welchen Gedanken ich mich trug. Es war seine Art, mir Handschellen und Fußketten anzulegen. Er war nicht nur mein Mann, er war auch mein Arzt. Und als solcher hielt er eine Pillenpause für zwingend notwendig.
    Ich sollte ein Pessar benutzen, kam damit nicht zurecht. Aber das war ja kein Problem mit einem Fachmann im Bett. Es war ihmein Vergnügen, das Ding an Ort und Stelle zu platzieren, eine reizvolle Variante im Vorspiel. Es passierte schon im ersten Monat. Wochenlang das Geschwafel von einer Hormonstörung, von der Umstellung im Körper. Dann die Gewissheit. «Du bist schwanger, Vera.»
    Ich glaubte den Verstand zu verlieren. Schrieb diesen Satz in mein Tagebuch. Was ich tun konnte, tat ich. Heiße Bäder, so heiß, dass die Haut noch Stunden danach schmerzte. Springen, laufen, schwere Lasten heben, schließlich sogar diverse Medikamente, die ich mir ohne Jürgens Hilfe beschaffen konnte. Es reichte nicht. Und ich war zu feige, es allein auf die endgültige Weise zu versuchen. Von Monat zu Monat steigerte ich mich tiefer in mein Elend, fühlte mich verraten, um meine Freiheit und meine Selbstbestimmung betrogen. Versteht ein Kind das?
    Wenn ich nur gewusst hätte, wie alt sie war, als ihr meine Tagebücher in die Hände fielen. Zehn? Da hatte ich mich nachmittags häufig mit einer Bekannten in einem Café getroffen. Anne war zu einer Freundin gelaufen, Rena mit ihren Schulheften allein. Oder elf? Da wollte sie mich nicht mehr begleiten, wenn ich Einkäufe machte, wollte lieber vor dem Fernseher sitzen. Oder vierzehn? Sie hatte auch ein paar Umzugskartons gepackt.
     
    Jürgen ging ins Wohnzimmer. Ich folgte ihm. Er goss sich einen Rémy Martin ein, drückte auch mir ein Glas in die Hand. Er wollte reden. Über Vater, dass es Wochen dauern könne, ehe man ihn aus dem Krankenhaus in eine Reha-Klinik verlegen konnte. Was er Rena, Nita Kolter und André Menke erzählen wollte, wenn sie das nächste Mal anriefen. Wie es weitergehen sollte, wenn Vater zum Pflegefall wurde. Entweder eine Hilfe engagieren, die Mutter bei der Pflege zur Hand ging. Oder

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